Wo Kinder sich noch über den Kommissionierer freuen Silvia Meixner, 21.10.2017 09:07 Uhr
Dortmund oder Brunsbüttel? Stadt oder Land? Hier 600.000 Einwohner, da 12.740. Apotheker Erk Levsen Johannsen hat sich für Brunsbüttel entschieden. Der 30-Jährige hat eine Apotheke gekauft, sie gerade umgebaut und ist – entgegen aller Prognosen – glücklich mit seiner Entscheidung.
Für 200.000 Euro hat er die Koog-Apotheke kürzlich renoviert. Anlass war das 50. Jubiläum. Der Umbau fand im Eiltempo statt: „Wir wollten es innerhalb von zwei Wochen bei laufendem Betrieb machen", sagt er. Das Experiment ist geglückt. In der ersten Woche wurde das in die Jahre gekommene Inventar abgebaut, in der zweiten die neue Einrichtung inklusive Kommissionierer eingebaut.
Johannsens Entscheidung ist eine Liebeserklärung an das häufig abgelehnte und vielfach belächelte Land- und Kleinstadtleben. In der Großstadt spielt die Musik, meinen viele. Und bloß keine Landapotheke übernehmen, lautet die landläufige Meinung. Der Arzt im Dorf könnte das Handtuch werfen, die Schule könnte schließen, die Menschen wegziehen. Und was dann? Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Weltweit betrachtet leben derzeit weniger als die Hälfte aller Menschen in Städten, nach Prognosen von Zukunftsforschern könnten das bis zum Jahr 2050 zwei Drittel der Weltbevölkerung sein. Bleibt aber immerhin ein Drittel der Menschheit, das nicht in einer Megacity leben möchte.
Eine kürzlich von der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (Apobank) veröffentlichte Studie stützt seinen Optimismus. Demnach ist die Landflucht der Ärzte möglicherweise gestoppt: 2016 ließen sich Hausärzte wieder etwas häufiger auf dem Land nieder: 10,3 Prozent aller Existenzgründer entschieden sich für die Praxis auf dem Land. Damit stieg der Anteil innerhalb eines Jahres um 1 Prozent. Allerdings drängen die meisten Ärzte nach wie vor in die Städte. Dort liegen die Übernahmepreise mit durchschnittlich 100.000 Euro klar über denen für Landarztpraxen.
Erk Johannsen ist nach dem Studium in Kiel und beruflichen Stationen in Dortmund und Berlin zurück in die Heimat gezogen. Einmal Küste, immer Küste. „Ich wollte zurück ans Wasser", sagt er. Am 1. Januar 2016 hat er die Koog-Apotheke in Brunsbüttel nach dem Kauf wiedereröffnet. Dass gute Meeresluft allein einen Apotheker nicht ernährt, weiß er natürlich. Schon seit Kindheitstagen: „Ich bin in Süderlügum, ganz oben im Norden an der Grenze zu Dänemark, aufgewachsen." Dort betreibt sein Vater die Grenz-Apotheke. Der Ort hat 2300 Einwohner.
Hier hat Johannsen erlebt, was es bedeutet, eine Landapotheke zu führen. Wie schön es sein kann, wenn man als Apotheker „seine" Kunden gut kennt, wenn man weiß, wie der Hund heißt und was die Kinder machen. Und wie froh es macht, wenn die Kunden gesund wiederkommen und sich für die Beratung bedanken. Natürlich gibt es das auch in großen Städten. Aber auf dem Land bleibt meist mehr Zeit für ein kleines Gespräch. Weil beide Seiten, Kunde und Apotheker, das so möchten. „Das macht mit am meisten Freude. Man kennt viele Leute und hat im Idealfall auch Kontakt über die Apotheke hinaus", bringt es Johannsen auf den Punkt.
Für ihn war immer klar, dass er eines Tages seine eigene Apotheke haben möchte. „Es brennt einen unter den Nägeln, man möchte sich etablieren.” In Brunsbüttel ist er der erste von drei Apothekern, die einen Kommissionierer haben. Das ist eine kleine Sensation: „Kinder freuen sich darüber, aber Erwachsene auch. In der Stadt ist das heutzutage nichts Besonderes, auf dem Land schon.” Ist ja auch ein beeindruckendes Gerät, das da die Ware „ausspuckt”.
Der Kauf der Apotheke ist „eine finanzielle Verpflichtung für viele Jahre“. Aber eben eine gut durchdachte. Johannsen sagt, dass er sogar Freude an der Buchhaltung hat: „Wenn ich nicht Pharmazie studiert hätte, dann vermutlich BWL.” Aber natürlich hat die Begeisterung ihre Grenzen, auf allzu viel Bürokratie und Dokumentation hat der junge Apotheker keine Lust. Wo wird er in 20 Jahren sein? In Brunsbüttel, in seiner Apotheke. „Ich sehe mich nicht als Teil einer Kette. Vielleicht führe ich eines Tages auch die Apotheke meines Vaters weiter.”
Vor dem Kauf der Apotheke hat Johannsen seine Hausaufgaben gemacht: Businessplan, Standort-Check. „Ich würde jedem zu einer genauen Standort-Analyse raten”, sagt er. „Wer eine Apotheke eröffnen möchte, sollte mit den Ärzten vor Ort reden. Wenn nebenan ein Arzt praktiziert, klingt das gut, aber wenn er vielleicht 62 ist, möchte er in fünf Jahren aufhören. Bei uns sind nebenan zwei Ärzte und es gibt in der unmittelbaren Nähe ein Ärztehaus.“ Dort gibt es zwar eine Apotheke, aber trotzdem kommen Kunden auch zu ihm. Meine Kalkulation ist grundsolide“, sagt er. „Warum soll ich schwarzmalen?“