Cannabis-Produkte

Wie Marihuana in Washington „verschenkt“ wird dpa, 09.08.2018 15:05 Uhr

In Washington ist Cannabis zwar legal, verkauft werden darf es aber nicht. Das hat einen skurrilen Graumarkt ins Leben gerufen, der viel aussagt über die unternehmerische Kreativität der Amerikaner. Foto: APOTHEKE ADHOC
Washington - 

Bäckereien haben in Washington normalerweise keine Türsteher, diese hier im Norden der US-Hauptstadt allerdings schon – wenn auch nur für einige Stunden. Der Grund: Hier werden an diesem schwülen Sommerabend nicht Backwaren produziert, sondern Drogen feilgeboten. Es geht um Cannabis-Produkte, und wenn man es rein technisch betrachtet, dann werden die Rauschmittel nicht verkauft, das wäre schließlich illegal. Sie werden verschenkt.

Hintergrund ist die Rechtslage in Washington: Fast mit einer Zweidrittelmehrheit stimmten die Bewohner des Hauptstadt-Distrikts im Jahr 2014 für die „Initiative 71“, mit der Marihuana weitgehend legalisiert wurde. Gegner im Kongress - dem US-Parlament - verhinderten dann aber, dass der Verkauf erlaubt wurde.

Auf US-Bundesebene sind Cannabis-Produkte weiter illegal. Neun der 50 Bundesstaaten und die Hauptstadt haben den Freizeitkonsum inzwischen trotzdem gestattet, in 21 weiteren Staaten kann Marihuana aus medizinischen Gründen bezogen werden. Die frühere US-Regierung von Präsident Barack Obama hat das Vorgehen der Bundesstaaten toleriert. Obamas Nachfolger Donald Trump hat den Trend zur Legalisierung bislang nicht gestoppt, auch wenn sein Justizminister Jeff Sessions ein erklärter Cannabis-Gegner ist.

Noch als Senator sagte Sessions im April 2016: „Gute Menschen rauchen kein Marihuana.“ Dennoch wird inzwischen quasi vor Sessions Tür gequalmt. In der US-Hauptstadt ist genau geregelt, was geht und was nicht: Der Anbau von sechs Marihuana-Pflanzen ist gestattet, davon dürfen aber nur drei gleichzeitig blühen. Erlaubt sind der Besitz von Unzen (57 Gramm) Marihuana und die Weitergabe von der Hälfte dieser Menge an Personen, die mindestens 21 Jahre alt sind. Das Alterslimit ist einer der Gründe für die Türsteher vor der Bäckerei, die neben den Taschen auch das Alter der Besucher kontrollieren.

Ausdrücklich untersagt ist allerdings, dass für die Weitergabe der Rauschmittel bezahlt wird. „Washington ist jetzt die Heimat des ungewöhnlichsten, basarähnlichen Marihuana-Marktplatzes der Nation, wenn nicht der Welt“, meinte im vergangenen April das US-Magazin „Rolling Stone“. Aus der „Initiative 71“ heraus hat sich ein grauer Markt in der Hauptstadt entwickelt, der viel aussagt über das kreative Unternehmertum, für das Amerika seit jeher steht.

Wer heute durch Washington läuft, sieht kaum noch Zigarettenraucher, die inzwischen beinahe den Status von Aussätzigen erreicht haben. Dafür weht gelegentlich süßlicher Marihuana-Duft durch die Luft, auch wenn der Konsum in der Öffentlichkeit eigentlich verboten ist. (Viele amerikanische Kiffer halten es übrigens für eine europäische Unart, Marihuana-Joints mit Tabak zu versetzen.)

Wie der Verkauf, Pardon, wie die Weitergabe der Drogen funktioniert, lässt sich in der eingangs erwähnten Bäckerei beobachten. Hier findet an diesem Abend ein sogenanntes Pop-Up-Event statt, eine nur oberflächlich getarnte Verkaufsveranstaltung für Marihuana-Produkte. Die Events werden über soziale Medien beworben, wer kommen möchte, muss um eine Einladung bitten, die unkompliziert gewährt wird.

An einem der vielen Tische in dem von Marihuana-Rauch geschwängerten Raum sitzt „Wicked“, so möchte die 51-Jährige genannt werden. Ihr Spitzname lässt sich mit „böse“ oder „gottlos“, umgangssprachlich aber auch mit „geil“ übersetzen. Ihren echten Namen möchte sie nicht veröffentlicht sehen.

Wicked „verkauft“ zum Beispiel billige Armbänder. Wer zehn Dollar hinblättert, bekommt eines der rosa Bänder aus Plastik - und dazu „Geschenk“, etwa einen Keks, versetzt mit Schokolade, vor allem aber mit THC und CBD, zwei der wichtigsten Wirkstoffe von Marihuana - THC wirkt berauschend, CBD schmerzlindernd. Zu haben sind auch bunte Gummibärchen und Lutscher, die besser außerhalb der Reichweite von Kindern aufbewahrt werden sollten. Alle Produkte sind versetzt mit THC und/oder CBD.

Zu Wickeds Angebotspalette gehören sogar Tampons. Ob die wirklich ihre Wirkstoffe entfalten? „Oh yeah“, sagt Wicked mit breitem Grinsen. Für die Gleitmittel auf dem Tisch gelte das übrigens ebenfalls. Wer zufällig kein Armband braucht, kann Wicked einfach Geld „spenden“.

Wicked hat einen eher exotischen Stand, auf den Tischen um sie herum werden auch klassische Marihuana-Blüten angeboten. Wer es bequem mag, kann fertige Joints oder THC-Konzentrat „geschenkt“ bekommen, indem er etwa einen Aufkleber „kauft“. Und nicht nur bei den Pop-Up-Events lässt sich Marihuana besorgen. Man kann sich die Rauschmittel auch einfach nach Hause kommen lassen.

Etwa, indem man bei einem einschlägigen Anbieter im Internet das Foto eines wilden Fuchses herunterlädt. Selbst Liebhaber von Füchsen dürften die Ansicht teilen, dass der Preis für den Download etwas steil ausfällt, auch wenn man die Rechte zur Weiterverwendung des Bildes gleich miterwirbt: Zwischen 50 und 275 Dollar werden dafür fällig. Der Clou: Dazu gibt es ein „Geschenk“, das nach Hause geliefert wird, etwa Marihuana vom Typ „Weißes Gold“.

Der Blogger Joe Tierney raucht „Weißes Gold“ und ähnliches qua Beruf. Ihm hat die „Initiative 71“ die Selbstständigkeit beschert, seinen Blog „Gentleman Toker“ („Gentleman-Kiffer“) betreibt er seit Oktober in Vollzeit. Tierney kann dem grauen Markt einiges abgewinnen - eben weil die sonderbaren Umstände so viel Kreativität hervorrufen.

So hätten beispielsweise Rapper erfolgreich ihre CDs damit beworben, dass sie „Geschenke“ dazu liefern würden, sagt Tierney. Es gebe sogar Motivationsredner, die auf Bestellung nach Hause kämen - CO2-neutral in der U-Bahn, natürlich mit einem berauschenden Präsent im Gepäck.

Beim Treffen in einem Donut-Laden ist Tierney gut gelaunt, ab und an verliert er den Gesprächsfaden, schließlich hat er eben noch gearbeitet. Tierneys Geschäftsmodell funktioniert so: Anbieter schicken ihm Marihuana-Produkte zum Test und zur Besprechung, gleichzeitig schalten sie Werbeanzeigen auf seiner Seite.

Für Tierney heißt das, dass er meistens bekifft ist. Selbst er wäre allerdings nicht undankbar, wenn er zwischendurch mal runterkommen könnte. „Ich mache keine Pause. Ehrlich gesagt, könnte ich ab und zu eine gebrauchen.“ Dann werde aber doch wieder jemand vorstellig, dessen Produkt er besprechen solle. Seine Antwort: „Na gut, ich werde besser high.“