„Wie lange soll diese Unsicherheit noch andauern?" Katharina Brand, 25.11.2023 09:50 Uhr
Im nordrhein-westfälischen Dorsten nimmt die Apothekendichte seit Jahren ab. Nachdem es immer wieder zu vereinzelten Schließungen im Landkreis kam, steht seit Anfang November der Ortsteil Rhade komplett ohne Apotheke da. Laut Ferda Hömke, Inhaberin der Achtsam-Apotheke, haben die Menschen vor Ort mittlerweile Sorge, bald keine Anlaufstelle mehr vor der Haustür zu haben. Sie hätte gerne eine Rezeptsammelstelle eingerichtet, doch die zuständige Apothekerkammer lehnte ab.
Die Urbanus-Apotheke in Dorsten ist dicht. Nach mehrjähriger Suche konnte Hubertus Lauer keine:n Nachfolger:in für seinen Betrieb finden. Als er nach 35 Jahren in den Ruhestand ging, schloss die letzte Apotheke im Ortsteil Rhade.
Die Achtsam-Apotheke im Einkaufszentrum Mercaden liegt nicht gerade in der Nähe; dennoch berichteten Kund:innen dem Team schon vor der Schließung des Nachbarbetriebs von ihren Sorgen, nicht mehr so einfach an ihre Arzneimittel zu kommen.
Hömke kam die Idee, eine Rezeptsammelstelle zu beantragen, um die Versorgung im Ortsteil sicherzustellen: Zweimal am Tag könnte die Botin Rezepte abholen, um die Präparate möglichst taggleich zu beliefern. Doch der Antrag konnte bei der Kammer nicht einmal gestellt werden. Denn man erklärte ihr, dass sie es gar nicht erst versuchen müsse: Der Mindestabstand von sechs Kilometern zwischen Sammelstelle und der nächstgelegenen Apotheke könne nicht eingehalten werden, da letztere nur circa vier Kilometer entfernt läge.
Gerade für ältere Menschen in ländlichen Gegenden seien Schließungen ein großes Problem, selbst wenn dann und wann ein Bus zur nächsten Apotheke fahre. „Wir hätten es gerne gemacht“, erklärt Hömke, auch wenn sich der Betrieb der Rezeptsammelstelle für sie nicht gelohnt hätte. Die große Nachfrage und die Sorgen der Kund:innen hätten sie überzeugt, eine Beantragung in Angriff zu nehmen. „Wir hätten das wuppen können.“
Beratung oder Rabattcoupon?
Seit acht Jahren leitet Hömke nun schon ihre Center-Apotheke. Obwohl sie als Zugezogene – und ohne familiären Apotheken-Hintergrund – es sicherlich schwerer hatte, mit einer Vor-Ort-Apotheke Fuß zu fassen, entschied sie sich bewusst gegen die damals vorherrschende Rabatt-Kultur im Ort. Das habe ihr Team erstmal nervös gemacht, zumal immer wieder Personen in der Tür gestanden und in die Apotheke hineingerufen hätten, ob es hier denn Prozente gäbe.
Hömkes Überzeugung war und ist: Wer Ansprüche an die Beratung und eine Stammkund:innenbehandlung hat, zahlt dafür auch. Das Durchhaltevermögen hat sich ausgezahlt: Mittlerweile wirbt auch die letzte Apotheke in Dorsten nicht mehr mit ihren Rabatten. Ohnehin erhält das Apothekenteam viel Zuspruch von ihrer Kundschaft – und das nicht nur von den Dorstenern. Obwohl es umliegend keinen Arzt gibt, kommen Kund:innen auch aus den umliegenden, ländlicheren Gebieten in die Achtsam-Apotheke. Das liegt auch an den Öffnungszeiten des Einkauszentrums. Insbesondere der Botendienst würde sehr gut ankommen, erklärt die Inhaberin, denn durch die abnehmende Apothekendichte in und um Dorsten seien für viele Personengruppen Apotheken einfach nicht mehr gut zu erreichen.
„Wir haben den Zeitgeist total verpennt“
Im Zeitalter der Online-Apotheken sei Kundentreue kein selbstverständliches Gut. Anstatt sich für den bequemeren Weg über Smartphone, Tablet & Co. zu entscheiden, kommen die Kund:innen zu ihr, und das aus guten Gründen „Soft Skills, wie wir sie in der öffentlichen Apotheke haben und leben, das können Online-Anbieter einfach nicht leisten.“ Dazu gehörten Kommunikations- und Teamfähigkeit, Charisma oder die Fähigkeit, Probleme zu lösen.
Dennoch machten Versender vieles richtig, wie beispielsweise den Einsatz von Online-Werbung und Auftritte in sozialen Medien. „Wir haben den Zeitgeist total verpennt“, findet Hömke. Sie selbst führt einen TikTok-Account mit amüsanten, aber auch lehrreichen Kurzvideos aus ihrer Apotheke, um junge Kund:innen abzuholen. Auf ihrer Website stellt sie hilfreiche Informationen – ob als Text oder Video – für ihre Kundschaft bereit.
„Wir brauchen einen langen Atem“
Zur aktuellen Apothekensituation in Dorsten, aber auch zur deutschlandweiten Krise bezieht die Apothekerin eine klare Haltung: „Es ist, als wäre ich in einem Meer. Ich gehe unter und weiß nicht, wie lange ich den Atem anhalten muss.“
Eine eigene Filiale zur Abmilderung des Apothekenschwunds in der Region zu eröffnen, komme für sie nicht in Frage: Dafür seien die Zeiten zu unsicher – und niemand wisse oder könne garantieren, wie lange diese Unsicherheit noch andauern wird. Die Verantwortung für ihre Mitarbeitenden, Tariferhöhungen, die politische Situation, der Fachkräftemangel – „das muss man einfach in der Gesamtheit betrachten“, erklärt Hömke.
Dabei liebe sie ihren Beruf: Er sei schön und facettenreich. Durch die Pandemie seien die Kolleginnen und Kollegen vor Ort näher zusammengerückt, ein schönes Gefühl, wie die Inhaberin betont. Man versuche gemeinsam Lösungen für die Kund:innen in Dorsten zu finden, tausche sich über Defekte aus und versuche, die Arzneimittelversorgung im Ort zu optimieren. Dennoch betont sie zur aktuellen Lage: „Wir brauchen einen langen Atem.“