„Wie erwünscht sind wir noch?“ Sandra Piontek, 22.02.2023 12:53 Uhr
Apothekerin Tanja Sinzig-Huskamp erstellte für ihre Kund:innen zum Apothekenjubiläum einen Einleger für Kundenzeitschriften. Mit dem vierseitigen Artikel will sie unter anderem auf die Probleme der Apotheken vor Ort aufmerksam machen. Viele Patient:innen der Schlangen-Apotheke in Schlangenbad haben die Inhaberin schon angesprochen und positives Feedback gegeben.
Zum Jubiläum „150 Jahre Schlangen-Apotheke“ ließ sich Sinzig-Huskamp etwas besonderes einfallen. Weil die Inhaberin im Januar auch ihr eigenes 20-jähriges Betriebsjubiläum feierte, nahm sie dies zum Anlass, eine vierseitige Schrift zur Apotheke im Allgemeinen zu verfassen. Der Artikel klärt über die Probleme der Aotheken vor Ort auf: „Viele Menschen wissen zwar jetzt über die katastrophalen Lieferengpässe Bescheid, aber ich wurde direkt nach dem Artikel öfter gefragt, ob die Lage denn wirklich so schlimm sei, wie ich schrieb.“ Die Apothekerin beantwortet diese Frage meist mit: „Ja, aber sie ist noch schlimmer.“
Will man uns noch?
Sinzig-Huskamp ist anlässlich des Jubiläums doch „eher nachdenklich als in Partystimmung“, wie sie sagt. Grund dafür sei die Frage, die sich spätestens seit der Corona-Krise vielen Kolleg:innen stelle: „Wie erwünscht sind wir noch?“ Dabei bezieht sich Sinzig-Huskamp nicht auf die Kundschaft, sondern auf die politische Lage: „Als Karl Lauterbach – der Mann vom Fach – nach Jens Spahn das Gesundheitsministerium übernommen hatte, brach sich in der Apotheker- und Ärzteschaft zunächst noch milde Hoffnung auf bessere Zeiten Bahn. Zeiten, in denen man unseren Einsatz, unsere Flexibilität, unsere Verlässlichkeit und unsere Kompetenz wieder zu schätzen wüsste“, so die Apothekerin in dem Schreiben. Die Ernüchterung sei jedoch auf dem Fuße gefolgt: Kürzungen und Restriktionen, die die durchschnittliche Apotheke in den nächsten beiden Jahren etwa 6500 Euro jährlich kosten werden.
Vor 30 Jahren war es leichter
Bitter sei auch die Entwicklung der vergangenen 30 Jahre: „Als ich als auszubildende PTA lange vor meinem Pharmaziestudium in der Schlangen-Apotheke anfing, tickten die Uhren tatsächlich noch ganz anders. Aber die fetten Jahre sind schon lange vorbei, jede Gesundheitsreform hatte uns auf dem Kieker bereits zahlreiche kleinere Inhabergeführte Apotheken mussten schließen“, so die Apothekerin. Im näheren Umfeld hätten bereits zwei Landapotheken geschlossen, zwei weitere in Wiesbaden sollen demnächst folgen. Viele kleinere Apotheken können dem derzeitigen Druck aus verschiedenen Gründen nicht mehr standhalten.
Den Kund:innen der Schlangen-Apotheke wird die Situation immer bewusster: „Mich hat kürzlich eine Stammkundin angesprochen, sie sei sehr froh, dass wir noch da sind. Am liebsten wollte sie sofort etwas unterschreiben, um uns zu unterstützen.“ Sinzig-Huskamp ist erschüttert über die derzeitige Situation der Apotheken: „Was mit uns gerade passiert, gleicht einer Zerstörung der öffentlichen Struktur. Laut Abda liegt die Apothekendichte hierzulande nur noch bei 22 Apotheken pro 100.000 Einwohner – und damit unter dem Durchschnittswert der Europäischen Union mit 32.“
Das spottet jeder Beschreibung
Die Lieferengpässe beschäftigen auch ihre Mitarbeiter:innen. „Wir hatten kürzlich ein Rezept für ein sechsjähriges Kind, verschrieben war ein Cefaclor-Saft. Bekanntlich ist auch dieser von einem massiven Lieferengpass betroffen. Leider ergab die Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt keine schöne Antwort. Ich solle doch einfach irgendein anderes Cephalosporin nehmen. Als ich erwähnte, dass ich noch eine letzte Doppelpackung des Arzneimittels vorrätig habe, meinte der Arzt, anstatt mir ein neues Rezept auszustellen, ich solle doch ausfüllen und die übrig gebliebene Flasche einem anderen Patienten geben. Dass so etwas aufgrund von Securpharm und Dokumentation schwierig wäre, interessierte ihn nicht. Die Situation der Lieferengpässe spottet im Moment wirklich jeder Beschreibung“, so Sinzig-Huskamp.