„Die goldenen Zeiten muss man sich selbst machen“

Wie ein Gastarbeitersohn zum Platzhirsch-Apotheker wurde

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Berlin -

Orhan Kızıltaş weiß, wie man sich entgegen aller Widerstände hocharbeitet. Vom Gastarbeiterkind aus dem Berliner Wedding hat er es geschafft, sich ein kleines Reich mit 70 Mitarbeitern aufzubauen: Vier Apotheken, deren Inhaber er selbst ist, eine im Besitz seines Sohnes und vier Sanitätshäuser vereint er unter der Marke Delphin – und das in der als strukturschwach verschrienen ländlichen Region in und um Prenzlau in Brandenburg. Die jüngste Apotheke hat er Anfang Januar eröffnet – um sich selbst Konkurrenz zu machen.

„Ich war in meinem ganzen Arbeitsleben nur einen einzigen Monat angestellt“, sagt der 61-Jährige nicht ohne Stolz. Denn man kann nicht behaupten, es sei ihm in die Wiege gelegt worden. In den 60ern kam Kızıltaş als kleines Kind nach Deutschland, seine Eltern begannen damals in den West-Berliner Siemenswerken als Gastarbeiter für das Wirtschaftswunder zu schuften. Die Lebensumstände entsprachen den damaligen Standards, unter denen ausländische Arbeiter leben mussten: heruntergekommene Mietskaserne nahe der Berliner Mauer, unsanierte Wohnung mit Toilette auf halber Treppe. „Meine Eltern haben mich damals gefragt: ‚Junge, willst du einmal unter denselben Bedingungen leben?‘“, erinnert er sich. Er wollte es nicht. Und seine Eltern zeigten ihm den richtigen Weg zum sozialen Aufstieg: Bildung.

„Als ich in die Schule kam, konnte ich kein Wort Deutsch. Ich war damals in einer typischen Gastarbeiterklasse, nur ausländische Kinder“, denkt er an seine Schulzeit zurück. Doch der junge Kızıltaş war nicht nur fleißig, sondern auch intelligent. Trotz der Widerstände, die Kindern mit ausländischen Wurzeln bis heute in den Weg gelegt werden, schaffte er den Sprung von der Hauptschule aufs Gymnasium – und von dort wiederum an die Freie Universität Berlin, wo er Pharmazie studierte.

Nach dem dritten Staatsexamen ging es dann direkt in die Praxis: 1986 begann er in der Hohenstaufen-Apotheke zu arbeiten. Als sich aber nach nur einem Monat die Chance ergab, die Zieten-Apotheke in Berlin-Kreuzberg zu übernehmen, stand der noch frische Uni-Absolvent plötzlich vor der ersten schweren Entscheidung seiner jungen Karriere. Und er nutzte sie. „Als ich die Apotheke damals übernommen habe, war das schon aufregend. So viel Geld wie auf dem Kaufvertrag hatte ich vorher noch nie gesehen!“, sagt er. „Ich habe dann das erste Jahr alleine mit einer Putzfrau in der Apotheke gearbeitet, aber die Zahlen trotzdem so schnell hochgebracht, dass ich bald Leute einstellen konnte.“

Als türkeistämmiger Apotheker war er damals noch ein Exot. „Das Image eines Türken war ja das des Döner-Verkäufers“, sagt er. „Die meisten konnten sich gar nicht vorstellen, dass ein Türke studierter Pharmazeut sein kann, geschweige denn, dass er Ahnung von Theater und Oper haben und Porsche fahren kann.“ Er habe damals viel Rassismus erlebt, auch von Apothekerkollegen – doch darüber will er heute nicht mehr reden. „Ich will kein Mitleid haben und auch nicht so wirken, als ob ich an einem Opfermythos stricke, sondern allein an meinen Leistungen gemessen werden“, betont er.

Der nächste Sprung kam dann mit der deutschen Wiedervereinigung. „Ich dachte mir, so eine Chance kommt nie wieder.“ Die Treuhand verscherbelte die alten DDR-Apotheken und Kızıltaş wollte zugreifen – was sich aber als gar nicht so einfach herausstellte. „Ich habe von Alt-Treptow bis Leipzig-Grünau gesucht, aber viele Apotheken gingen ja damals unter der Hand weg“, erzählt er. „Doch ich hatte Glück und habe in Prenzlau tatsächlich die letzte Treuhand-Apotheke in Brandenburg bekommen.“

Ab da – es war bereits 1995 – waren alle Weichen auf Wachstum gestellt. Bereits im Folgejahr schloss er seine erste und kaufte zweite, um einiges größere Apotheke, diesmal im benachbarten Brüssow. Kızıltaş begann langsam, in der Uckermark sein „Delphin-Konsortium“ aufzubauen, wie er es scherzhaft nennt. 2007 eröffnete er eine Filiale in Prenzlau, 2012 und 2013 kamen Apotheken in Feldberg und Löcknitz hinzu. Letztere betreibt sein Sohn, ebenfalls Apotheker, als Inhaber. Dazu gesellten sich über die Jahre vier Sanitätshäuser, eines in Löcknitz, eines in Templin und zwei in Prenzlau, davon eines mit angeschlossener Orthopädietechnik.

Anfang Januar nun eröffnete die dritte Delphin-Apotheke in Prenzlau – in einem Kaufland nur 150 Meter entfernt von der eigenen Filiale. „Eigentlich wollte ich es bei zwei Apotheken in Prenzlau belassen“, sagt Kızıltaş. Doch die Kaufland-Manager waren felsenfest überzeugt, dass eine Apotheke in die Geschäftspassage muss. „Da habe ich gesagt: Egal wer da reinkommt, den mache ich fertig“, scherzt er. „Aber wenn der fertig ist, kommt ja auch bloß der Nächste. Ich hätte ja gekämpft. Aber ich habe dann doch auf den Rat meiner Frau gehört und mich entschieden, es einfach selbst zu machen.“

Und so expandiert Kızıltaş kräftig weiter in einer Gegend, auf die seit Jahren Abgesänge erklingen. In einer der am dünnsten besiedelten Regionen Deutschlands, auf dem flachen Land im hohen Osten, wo kaum ein Apotheker noch einen Nachfolger findet, sieht er da noch so viel Perspektive? „Ich sehe das, was andere machen, aber das will ich nicht beurteilen. Ich kümmere mich um meine Apotheken und will meiner Vision folgen, Gesundheitsversorgung aus einer Hand anzubieten“, sagt er diplomatisch. Von den Abgesängen will er jedenfalls nicht viel hören. „Schon 1985, als ich mein drittes Staatsexamen abgelegt habe, hat mein damaliger Lehrapotheker zu mir gesagt, dass die goldenen Zeiten vorbei seien. Dabei waren sie das noch lange nicht! Ich bin der Meinung, die goldenen Zeiten muss man sich selbst machen.“

Und die Umstellung von Berlin zur Kleinstadt Prenzlau? Holen ihn in Brandenburg, wo die AfD bei der letzten Bundestagswahl mit über 20 Prozent zweitstärkste Kraft wurde und sich Hoffnungen macht, bei den diesjährigen Landtagswahlen die Regierung zu übernehmen, nicht gelegentlich böse Erfahrungen aus der Vergangenheit ein? „Nein, in Prenzlau ist die rechte Szene zum Glück weniger stark als im restlichen Brandenburg. Ich fühle mich hier keineswegs verfolgt – das ist schließlich mein Land, ich bin hier aufgewachsen.“ Einen Vorsatz habe er aber dennoch: „Wenn diese AfD-Idioten eines Tages wirklich in Deutschland an die Macht kommen sollten, dann bin ich hier wieder weg.“

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