Zyto-Skandal

Whistleblower Porwoll geht zur BKK

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Berlin -

Martin Porwoll hat einen neuen Job. Der ehemalige kaufmännische Leiter der Alten Apotheke in Bottrop war zum Whistleblower geworden und hatte den Skandal um gestreckte Zytostatika aufgedeckt. Jahrelang hatte er unter den Konsequenzen selbst zu leiden – nicht zuletzt, weil er keine Arbeit mehr fand. Jetzt ist er bei einer Krankenkasse untergekommen.

Niemand kann ernsthaft bezweifeln, dass Porwoll das Richtige getan hat: Während viele Kollegen in der Alten Apotheke tuschelten oder Vermutungen äußerten, hat er Mut und Engagement bewiesen. Er ging dem Gerücht nach, dass sein Chef, der Apotheker Peter Stadtmann, nicht nur unhaltbare hygienische Zustände in seinem Sterillabor duldet, sondern bewusst Zytostatika unterdosiert, um sich daran zu bereichern. Porwoll stellte Abrechnungen und Lieferscheine erst von Opdivo, dann auch von anderen Wirkstoffen heimlich gegenüber und sammelte so Beweise für die Vorwürfe, insgesamt rund 100 Dokumente. Gemeinsam mit der PTA Marie Klein sagte er bei der Polizei gegen Stadtmann aus – der Fall geriet ins Rollen.

Der 29. November 2016 ist für ihn der Schicksalstag: In der Alten Apotheke wird eine Razzia durchgeführt, Inhaber Stadtmann kommt in Untersuchungshaft. Drei Tage später ist Porwoll arbeitslos, Stadtmann hat ihn fristlos gekündigt. In der Begründung erhebt Stadtmann schwere Vorwürfe: Porwoll habe als kaufmännischer Leiter zu verantworten, dass Rechnungen offen geblieben und Mahnschreiben in Verzug geraten seien. Außerdem habe er privat Medikamente gekauft, ohne sie bislang zu bezahlen. Porwoll weist die Anschuldigungen entschieden zurück. Er klagt und will eine Abfindung – vergeblich.

Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen entscheidet in erster Instanz, dass die Kündigung rechtens sei, unabhängig davon, ob sie als Reaktion auf das Whistleblowing erfolgte. Erst in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Hamm einigen sich Stadtmann und Porwoll auf eine Abfindung von 75.000 Euro und ein sehr gutes Zeugnis. Stadtmann zieht die in der fristlosen Kündigung genannten Vorwürfe zurück und darf diese in Zukunft nicht mehr wiederholen. Er muss außerdem die Prozesskosten tragen. Mittlerweile wurde er zu zwölf Jahren Haft verurteilt.

Neben der Abfindung erhält Porwoll auf der einen Seite soziales Prestige: Opfer, Angehörige, die Nutzer in den sozialen Medien sind dankbar und feiern ihn. Zusammen mit Klein und dem türkischen Journalisten Can Dündar erhält er in Kassel den Whistleblower-Preis 2017. Er ist weiterhin im Fall Alte Appotheke engagiert, zusammen mit den Opfervertretern um Heike Benedetti und Christiane Piontek demonstriert er, gibt Interviews und ist zweimal im nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium.

Doch er steht trotzdem ohne festen Job da, fast zwei Jahre lang. Keine der Firmen, bei denen er sich beworben hat, stellt ihn ein. „In Deutschland ist man nur der Verräter. Der, der das Nest beschmutzt hat“, sagt er. Ehemalige Kollegen gehen juristisch gegen ihn vor, weil er in Interviews gesagt hatte, dass der Pfusch in der Apotheke ein offenes Geheimnis gewesen sei.

Bei der BKK Verkehrsbau Union hat es nun geklappt: Seit Anfang der Woche ist Porwoll dort als Projektleiter Versorgungssteuerung angestellt. Die Betriebskrankenkasse mit rund einer halben Million Versicherten nennt Porwolls couragiertes Verhalten explizit als einen Grund für ihre Personalentscheidung.

Bei Porwolls ehemaliger Kollegin Klein ging es etwas schneller mit der Arbeitssuche: Sie fand bereits 2017 eine neue Anstellung in der Duisburger Sonnenwall-Apotheke. Das war ebenfalls nicht selbstverständlich gewesen: Wie sie selbst sagte, hatte sie nach dem Auffliegen der Machenschaften Stadtmanns mit dem Gedanken gespielt, den PTA-Beruf komplett aufzugeben.

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