Wertingen

Apothekenfacelift mit 60 Torsten Bless, 12.08.2017 09:32 Uhr

Berlin - 

Das bayerische Wertingen rüstet sich für die Zukunft: Heinz Klimesch hat seiner Martinus Apotheke einen gründlichen Facelift verpasst. Mit 60 hält sich der langjährige Betreiber offen für neue Trends und seine Mitarbeiter fit für den Kundenkontakt.

Das Apothekersein liegt Heinz Klimesch quasi im Blut. Sein Vater, ein Flüchtling aus dem Sudetenland, eröffnete die Martinus Apotheke 1952. „Ich bin hier in Wertingen schon aufgewachsen und kenne hier Gott und die Welt, irgendwann sind mir meine Jugendsünden verziehen worden“, erzählt Klimesch junior. Gerade noch rechtzeitig, bevor er den Betrieb zum 1. Januar 1989 übernahm. „Authentisch bin ich geblieben“, versichert er.

Was seinem Erfolg keinen Abbruch tat: Im Jahr 2005 übernahm Klimesch auch die Rathaus Apotheke in Meitingen, sechs Jahre später die Cosmas Apotheke in Dillingen. „Beide Apotheken hatten in meinen Augen Entwicklungspotenzial, die Einrichtungen waren aber erneuerungsbedürftig.“ Er steckte viel Geld in die Renovierung und den technischen Umbau.

Blieb noch das Stammhaus, an der Martinus Apotheke war 26 Jahre nichts mehr getan worden. Klimesch leistete ganze Arbeit. Die Eicheneinrichtung musste ebenso weichen wie der Bodenbelag, alle Kanten wurden abgeschlagen. „Die Einrichtung ist modern, die HV-Tische sind weiß mit silbernen und goldenen Metallverkleidungen. Mit dem Einbau von Gondeln haben wir die Laufwege verändert, die Kunden werden jetzt an der gesamten Freiwahl vorbei geführt.“ Die Mitarbeiter freuen sich zudem über eine aufgefrischte Rezeptur.

Auch die Technik sei auf dem letzten Stand: „Wir haben jetzt schnellere Kassen. Der neu eingebaute Kommissionierautomat spart Platz, den haben wir für eine größere Offizin genutzt“, erläutert Klimesch. „Auf zwei Bildschirmen kann man das Gewünschte ganz leicht antippen. Das alles entzerrt den gesamten Betrieb und nimmt unheimlich viel Hektik raus. Wir müssen nicht mehr permanent zu den Schubladen laufen, die Wege zum Abverkauf sind kürzer. So haben wir mehr Zeit für den Kunden.“

Der Kundenkontakt gehöre ohnehin zu den größten Stärken einer Vor-Ort-Apotheke, betont Klimesch. „Über die Preise und den Versand können wir keine Konkurrenz machen, wenn wir wirtschaftlich arbeiten wollen. Wir punkten mit unserer Präsenz. Apotheker müssen die Menschen mögen und neugierig sein. Es ist wichtig, zu jedem Stammkunden die Geschichte zu kennen. Meinen neuen Mitarbeitern impfe ich ein, jeden Kunden kennenzulernen und mit Namen zu begrüßen. Sie müssen immer gleich freundlich und interessiert bleiben, auch wenn er ihnen seine Lebensgeschichte schon zum zehnten Mal erzählt. Häufig dreht sich das Gespräch auch um Themen, mit denen man sorgsam umgehen muss.“

Eine Apotheke stehe und falle mit ihrem Personal, so Klimesch. „Wenn die Mitarbeiter nicht geschult sind und nicht über die Produkte Bescheid wissen, die sie verkaufen, dann bleibt der Kunde weg.“ Es gelte, den Kunden umfassend zu beraten. „Der Kunde darf nicht abgefertigt werden. Wir müssen nachfragen, um uns die nötigen Informationen zu holen. Wenn jemand ein Antibiotikum oder ein Schmerzmittel abholt, fragen wir ihn, was ihm fehlt, damit wir ihn jederzeit bestens betreuen können.“

Das gelte auch für den Verkauf von OTC-Medikamenten und Freiwahlartikeln, sagt der erfahrene Apotheker. „Wir verkaufen kein Medikament oder Produkt, sondern einen Nutzen. Wir können den Kunden umfassend beraten, aber die Entscheidung muss er selbst treffen, wir dürfen ihm nichts aufschwatzen.“

Um diesen Fokus immer wieder zu schärfen, investiert Klimesch in einen professionellen Verkaufstrainer, der einmal im Jahr für jeweils zwei Tage in jeder seiner Apotheke Station macht. „Zunächst werden die Techniken der Gesprächsführung theoretisch besprochen, dann macht er Training on the job. Er beobachtet die Verkaufsgespräche und hält hinterher Manöverkritik.“

Auch sich selbst hinterfragt Klimesch ständig. „Seit 20 Jahren tausche ich in Gruppen mit anderen Apothekern meine Erfahrungen aus. Da werden mitunter richtig die Hosen heruntergelassen.“ So halte er sich offen für Blicke über den Tellerrand hinein in andere Branchen. „Im Textilbereich ist das Standard, da setzen sie spätestens alle halbe Jahre neue Akzente. Und in den Tankstellen werden die Kunden auf dem Weg zur Kasse durch das gesamte Angebot geführt.“

Ziel der Apotheke müsse ein übersichtliches Freiwahlangebot mit Anspruch auf Vollversorgung sein. „Wenn wir den Drogeriebedarf des Kunden gleich mit abdecken, nimmt er in Kauf, dass er hier vielleicht geringfügig höhere Preise zahlen muss.“

In 30 Jahren Berufstätigkeit hat Klimesch den Spaß am Unternehmertum noch nicht verloren. Allerdings mache der Fachkräftemangel auch vor dem bayerischen Schwaben nicht Halt. „Approbierte Mitarbeiter zu finden, ist extrem schwierig. 50 bis 60 Stunden Dienst müssen in der Woche besetzt werden, dafür brauche ich anderthalb studierte Apotheker. Für die Cosmas Apotheke suche ich schon seit einem Jahr eine Vollzeitkraft.“

Der Gesetzgeber habe mit den Gesundheitsreformen für manches Ungemach gesorgt, räumt Klimesch ein. „Die Politik hat uns im Laufe der letzten Jahren in immer engere Zwangsjacken gezwängt. Doch je tiefer sie uns Apothekern die Nase in den Dreck gesteckt haben, um so aktiver bin ich geworden.“ Sicher, der Rx-Versand sei eine große Herausforderung. „Doch mittlerweile erhält man jeden Furz im Internet. Die Apotheken sind derzeit noch in einer Größenordnung betroffen, mit der es sich leben lässt.“

Schwieriger sei es da schon, wenn das Fremdbesitzverbot falle. „Dann kommen die Ketten. Da kann man als Apotheker nur noch seine Beine in die Hand nehmen und seinen eigenen Betrieb an eine Kette verkaufen.“

Doch so weit ist Klimesch noch lange nicht. Davon zeugt schon der aufwändige Umbau in der Martinus Apotheke. Seinen Kollegen rate er auf jeden Fall dazu, den Umbau von einer Spezialfirma machen zu lassen, die alle Gewerke koordiniere. „Meine örtlichen Handwerker haben so viel zu tun, da hätten die Arbeiten schon mal still stehen können. So ging alles Hand in Hand.“

Fünf Wochen sei durchgehend gearbeitet worden. „In der ganzen Zeit konnten wir unseren Betrieb über eine mobile Offizin aufrecht erhalten, die im Verkaufsraum je nach Bedarf der Handwerker umher geschoben wurde.“ Verluste habe er in der ganzen Zeit keine verzeichnet. „Wir haben aus dem Umbau ein Event und unsere Kunden neugierig gemacht. Sie kamen von selbst vorbei, um zu sehen, was in ihrer Apotheke vor sich geht.“

Am 3. August feierte die aufgefrischte Martinus Apotheke ihre Neueröffnung. „Es war der Hammer“, erzählt Klimesch. „Die Kunden haben uns fast die Bude eingerannt.“ Zur Eröffnung gab es zehn Prozent Ermäßigung auf das gesamte Sortiment, ausgenommen waren rezeptpflichtige Medikamente und Monatsangebote. „Das wurde sehr rege genutzt.“ Zu den Hauptattraktionen bei Groß und Klein zählte der neue Automat. Zur Feier des Tages konnten sich Kinder ein Päckchen Gummibärchen ziehen. Aber auch die Erwachsenen erkundeten bei Saft und Prosecco neugierig die Funktionsweise des Kommissionierers.

Bei aller Freude und Tatkraft denkt Klimesch schon das eine oder andere Mal an einen möglichen Ruhestand. „Ich bin jetzt 60, auch ich muss mal an ein Ende meiner Laufbahn denken“, sagt er. „Von meinen fünf Kindern ist eine Tochter selbst Apothekerin, aber sie lebt 600 Kilometer entfernt. Sie hat noch ein paar Jährchen Zeit, sich zu überlegen, ob sie die Betriebe übernimmt.“

Und wenn nicht, dann sei es auch nicht schlimm. „Meine Apotheken haben jetzt die neueste Technik, damit haben sie einen hohen Verkaufswert. Mit 70 schwinge ich mich dann auf mein Motorrad und reise durch die Welt.“