Wenn es um das Thema Depression geht, scheinen die klassischen Rollenmodelle immer noch gültig zu sein: Der Mann – das starke Geschlecht – darf und will sich keine Schwäche erlauben. Schon gar keine psychische Erkrankung. Sorgen werden totgeschwiegen oder gar in Alkohol ertränkt. Und Bedenken der engsten Vertrauten ignoriert. Mit zum Teil fatalen Folgen.
Zwar treten depressive Erkrankungen bei Frauen häufiger auf als bei Männern. Doch die Suizidgefahr ist bei Männern weitaus größer. Sie wählen gewalttätigere Methoden und sind damit erfolgreicher in ihrer Absicht, sich umzubringen, sagt Professor Dr. Arno Deister, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Wenngleich es nicht die eine „Männerdepression“ gibt, so stellen Ärzte doch unterschiedliche Ausprägungen zwischen den Geschlechtern fest.
Beispielsweise zeigen sie nicht immer – oder nicht ausschließlich – die bekannten Symptome. „Frauen werden antriebslos und verfallen in eine trübe Stimmung, Männer dagegen reagieren aggressiv, schinden sich noch mehr, treiben wie verrückt Sport und trinken häufiger Alkohol“, erläutert Dr. Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbandes für Psychiatrie und Psychotherapie. Wird dieses Verhalten dann einfach als typisch männlich abgetan, bleibt die Depression lange unerkannt.
Den Zugang zur Psyche scheinen gerade Männer besser über ihren Körper zu finden, ist Roth-Sackenheims Erfahrung. Schlafstörungen oder körperliche Abgeschlagenheit sind ebenfalls mögliche Anzeichen einer Depression.
Nicht nur die Symptome unterscheiden sich mitunter - auch der Ausgangspunkt für die seelische Krise ist bei Männern häufig ein anderer als bei Frauen. Ein Problem sei zum Beispiel mangelnde Kommunikation am Arbeitsplatz, sagt Professor Dr. Marc Ziegenbein, Chefarzt am Klinikum Wahrendorff in Sehnde bei Hannover. Vieles machen Männer mit sich aus, statt darüber zu sprechen.
Auch Versagensangst stehe bei Männern stärker im Vordergrund, ergänzt Deister. „Es geht um die Leistung oder die nicht erbrachte Leistung.“ Teil der Therapie ist daher auch, die eigenen Ansprüche zu hinterfragen. „Bin ich wirklich weniger wert, wenn ich weniger leiste?“ Dieser Frage müssen sich die Betroffenen stellen.
Wer Hilfe braucht, kann sich als Erstes an den Hausarzt wenden. Das gilt nicht nur für betroffene Männer, sondern auch für besorgte Angehörige. Der Arzt kann den Patienten gegebenenfalls an einen Psychotherapeuten oder eine Klinik überweisen.
Eine Möglichkeit sind spezielle Angebote für Männer. Die gibt es zum Beispiel in der Tagesklinik für Männer am Klinikum Wahrendorff. Die Therapie hier ist ähnlich gestaltet wie bei Frauen, wird allerdings ergänzt durch Anti-Aggressions- und Achtsamkeitstraining. „Die Behandlung wirkt nicht so gut, weil sie anders ist, sondern weil Männer und Frauen separiert werden“, erklärt Chefarzt Ziegenbein das Konzept. Seine Erfahrung: „Sonst versuchen Männer, die Fassade aufrechtzuerhalten und stark zu bleiben.“
Maßgeblich für eine erfolgreiche Therapie sind die Bereitschaft zur Veränderung und die Fähigkeit zur Innenschau, darin sind sich die Experten einig. Doch was, wenn beides fehlt? Dann könnten Partner und gute Freunde helfen. „Man darf aber nicht in die Falle laufen, dass der Betroffene sich als Versager fühlt“, warnt Deister. Männer, die gerne Verantwortung tragen, könnten Sorgen als Vorwurf auffassen.
Da ist es manchmal einfacher, das Gespräch von Mann zu Mann zu suchen und einen guten Freund als Helfer einzuspannen. Aber: „Angehörige sind keine Therapeuten“, sagt Deister. „Man muss trotzdem dranbleiben und darf nicht aufgeben.“ Denn auch den eigenen Körper und Geist zu pflegen, ist ein Zeichen von Stärke.
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