„Wenn die Bedingungen so bleiben, sehe ich schwarz" Julia Germersdorf, 02.04.2023 13:31 Uhr
Im Oktober 1923 hat im brandenburgischen Jüterbog die Dammtor-Apotheke erstmalig geöffnet. Der heutige Inhaber, Marko Hill (49), möchte das 100-jährige Jubiläum ganzjährig feiern. Er blickt auf etwa 13 Jahre Selbstständigkeit zurück. Der Inhaber erzählt über enorm gewachsenen Arbeitsaufwand, Fachkräftemangel und die große Sorge vor dem Engpass einer ganz bestimmten Arzneimittelgruppe.
Hill ist in Jüterbog aufgewachsen. Er hat in Berlin Pharmazie studiert und dort auch sein praktisches Jahr in einer öffentlichen Apotheke absolviert. Dass er zurück in seine Heimatstadt geht, stand seit jeher fest. Er hat dort etwa ein halbes Jahr nach seiner Approbation den Betrieb seines Vater übernommen, die Dammtor-Apotheke.
Zukunft der Apotheke
Die momentane Berichterstattung über die aktuelle Lage der Apotheken lässt nicht viel Gutes hoffen, findet Hill. Als Apothekeninhaber im ländlichen Raum merkt er die Probleme ebenfalls, besonders beim Personal. Mitarbeiter:innen, die in den wohlverdienten Ruhestand treten durften, konnten nicht oder nur sehr schwer nachbesetzt werden. „Wir haben definitiv nicht zu wenig Kundschaft, es läuft super. Wir werden hier gut angenommen.“ Allerdings habe der Arbeitsaufwand so enorm zugenommen, dass es fast nicht mehr zu schaffen sei. Allein darum werden prinzipiell mehr Mitarbeiter:innen gebraucht.
Sektempfang im Oktober
Dem 100. Jahrestag seiner Dammtor-Apotheke möchte Hill gerne hin und wieder über das ganze Jahr verteilt Präsenz bieten. Aus diesem Grund gewährt er aktuell bis Ende Mai allen Kund:innen einen Rabatt von 20 Prozent auf Freiwahl und OTC-Ware. Im September, nach der Urlaubssaison soll es dann ein Grillfest für seine Mitarbeiter:innen geben, bevor im Oktober dann offiziell auf den Geburtstag der Apotheke angestoßen werden soll.
Wohl keine weiteren 100 Jahre
Das Einkommen sei komplett von der Inflation angekoppelt – es sehe insgesamt nicht gut aus für die gesamte Branche. Für Hill selbst sei die Lage nicht allzu bedrohlich, da er die Apotheke aus der Familie übernehmen konnte. Aber ob er sie weitergeben kann, sei fraglich. „Wenn die Bedingungen so bleiben, sehe ich schwarz, einen Käufer zu finden.“
Allgemein sei die Region noch recht stabil, was die Anzahl der Apotheken vor Ort betrifft. Bislang habe es keine Schließungen gegeben, weshalb die Versorgungssituation noch nicht dramatisch sei. Allerdings seien die Inhaber momentan auch alle noch nicht in dem Alter, in dem ein Verkauf oder eine Übergabe akut wäre. „Deshalb spüren die Menschen hier vor Ort noch nicht die brenzliche Lage der Versorgungslücken. Aber an uns Pharmazeuten geht das dank der fachlichen Berichterstattung natürlich nicht vorbei. Und das fühlt sich nicht gut an.“
Angst vor Insulinnotstand
Dank der Berichterstattung über Arzneimittelengpässe in den Medien reagieren die Kund:innen in Jüterbog größtenteils verständnisvoll, wenn es zu Lieferproblemen bei ihrem Arzneimittel kommt. „Da haben wir zum Glück keine Probleme.“
Aber der Arbeitsaufwand, den Hill und seine Mitarbeiter:innen mit beinahe jedem zweiten Rezept dank der Nichtverfügbarkeiten haben, sei unvorstellbar. „Jedem Engpass muss hinterher telefoniert werden. Wenn der Arzt keine Sprechstunde mehr hat, verzögert sich die Belieferung noch weiter. Meistens benötigen wir dann auch ein neues Rezept.“ Hill könne die Unannehmlichkeiten weitestgehend von seinen Kund:innen fernhalten und kümmere sich selbst um die neue Verordnung, um den Erkrankten den erneuten Weg in die Praxis ersparen zu können.
Bisher haben die Mitarbeiter:innen der Dammtor-Apotheke ihre Kund:innen immer noch irgendwie beliefern können. „Irgendwie – das ist natürlich nicht die Regel, das sind wir anders gewohnt, aber so ist momentan eben die Lage und wir sind wirklich froh, dass wir bisher noch alle gut versorgt kriegen“, so der Inhaber.
Die Ware sei zwar stets kleckerweise gekommen und meist nicht in dem Umfang, wie es bestellt wurde, aber lebensbedrohlich leergelaufen seien die Schubladen bisher nicht. „Es hat immer gerade so gereicht. Klar, wir hatten auch mal Tage, an denen ein bestimmtes Präparat nicht verfügbar war, aber dann konnten wir ausweichen oder improvisieren.“
Daher sei auch die Eigenherstellung von Paracetamolzäpfchen oder Ibuprofensaft bisher noch nicht nötig gewesen.
Sorge hat Hill allerdings vor größeren Engpässen bei Insulinen: „Das möchte ich nicht erleben, dass ich jemandem sein überlebensnotwendiges Medikament nicht ausgeben kann. Klar, wenn Schmerzmittel nicht verfügbar sind, ist das auch schlimm. Aber bei Engpässen von Insulinen wird mir tatsächlich bange.“
Guter Draht zu Kolleg:innen vor Ort
Hill hat 2014 spontan eine Apotheke in Jüterbog als seinen Filial-Betrieb übernommen. Als der Vorbesitzer, ein ehemaliger Studienkollege Hills, schwer verunfallte und seitdem nicht mehr im Stande ist, die Apotheke selbst weiterzuführen, lag es nahe, dass Hill diese übernimmt, bevor sie von jetzt auf gleich hätte schließen müssen. „Wir hatten schon immer einen guten Draht zu dieser Apotheke. Die Mitarbeiter:innen kennen sich untereinander und sind zum Teil sogar befreundet.“ Überhaupt habe man in Jüterbog ein gutes Verhältnis unter den Apotheken zueinander. „Wir sind hier ziemlich gut vernetzt und helfen uns gegenseitig, so gut es geht.“