Ernährungs-Screening

Warnung: Mangelernährung in Krankenhäusern und Pflegeheimen Alexandra Negt, 15.10.2019 13:49 Uhr

Der Antrag des geschäftsführenden ABDA-Vorstand für ein einheitliches Entlassrezept wurde angenommen. Foto: DAK
Berlin - 

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) legt aktuelle Informationen zum Ernährungszustand von Kranken und Pflegebedürftigen offen. Die Zahlen geben Anlass zur Sorge: Ein Viertel aller Pflegeheimbewohner und ein Drittel aller Krankenhauspatienten sind mit Nähr- und Mineralstoffen unterversorgt. Die ernährungsmedizinischen Strukturen in Kliniken und Heimen hätten sich in den vergangenen Jahren nicht verbessert.

Die DGE prüft regelmäßig die Vitaminversorgung der Bevölkerung und kommt zu dem Schluss, dass Deutschland kein Vitaminmangelland ist. Größtenteils sind Menschen hierzulande ausreichend versorgt. Vitaminmangelkrankheiten kommen äußerst selten vor. Das Angebot an frischem Obst und Gemüse ist mittlerweile saisonunabhängig, so können das ganze Jahr über ausreichende Mengen an Vitaminen und Spurenelementen über die Nahrung aufgenomen werden.

Bei älteren Menschen ist der Ernährungszustand hingegen häufig schlechter. „Unzureichende Ernährungszustände sind bei rund 25 Prozent aller stationär aufgenommenen Patienten zu verzeichnen“, berichtet Christian Löser, Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM). Ursachen für ungenügende oder falsch zusammengestellte Nahrung seien soziale Isolation, Armut und schlechtsitzende Zahnprothesen. Krebspatienten seien besonders gefährdet, so Löser. Bei vielen onkologischen Patienten bestehen Übergewicht und Mangelernährung parallel zueinander. „Jährlich sterben allein 20 bis 30 Prozent aller Krebspatienten nicht an ihrer Grunderkrankung, sondern an den Folgen ihrer Mangelernährung“, erklärte er.

Unter Mangelernährung versteht man die zu geringe Zufuhr von Nahrung oder einzelnen Nahrungsbestandteilen, die der Körper zum Leben braucht, oder die Unfähigkeit des Körpers, die Nahrung aufzunehmen oder zu verarbeiten. Die Einteilung erfolgt in drei Formen: Die quantitative Mangelernährung, bei der keine ausreichende Kalorienmenge aufgenommen wird, die qualitative Mangelernährung bei der lebenswichtige Nahrungsbestandteile wie Vitamine fehlen und der globalen Malnutrition, bei der es an beidem fehlt. Symptome einer Mangelernährung zeigen bereits Menschen, die in drei Monaten fünf Prozent ihres Körpergewichtes ungewollt verlieren.

Die DGEM betont zusammen mit dem Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) den Nutzen von enteralen Ernährungstherapien. Mit rechtzeitig eingeleiteten ernährungstherapeutischen Maßnahmen könnten der Ernährungs- und Allgemeinzustand verbessert und eine Mangelernährung verhindert werden. Eine Malnutrition schwächt das Immunsystem und führt zu Muskelabbau. In Folge dessen kann es zum Verlust wichtiger motorischer Fähigkeiten kommen. Infektionskrankheiten können häufiger auftreten und der Heilungsprozess insgesamt kann verzögert sein. Speziell bei Kindern ist die enterale Ernährungstherapie auch unter dem Aspekt der körperlichen und geistigen Entwicklung durchzuführen. „Trink- und Sondennahrungen müssen an die spezielle Krankheitssituation des Patienten angepasst sein. Denn nur wenn die individuelle Entwicklungssituation und die Stoffwechselfunktion berücksichtigt werden und die Nahrung auch resorbiert werden kann, erfüllt sie ihren therapeutischen Zweck“, so die Meinung der BVMed-Experten vom Fachbereich Künstliche Ernährung.

Dr. med. Frank Jochum, Präsident der DGEM, betont, dass Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungsversorgung in Krankenhäusern und Pflegeheimen dringend erforderlich seien, um der Entwicklung von Mangelernährung präventiv entgegenwirken zu können. Er spricht sich weiterhin für ein Ernährungsscreening und eine ernährungsmedizinische Betreuung der Betroffenen aus. Erst hierdurch könnten bestehende Mangelernährungszustände erkannt und therapiert werden. „Es ist daher unerlässlich, Patienten und Pflegeheimbewohner bei einem Risiko oder einer bereits vorliegenden Mangelernährung in einem frühen Stadium zu identifizieren“, so Jochum. Eine rechtzeitige Ernährungsintervention bei Risikopatienten könne die Sterblichkeit signifikant reduzieren und die Lebensqualität verbessern.

Zu der Gruppe, die besonders häufig mangelernährt ist, gehören onkologische Patienten. Appetitlosigkeit, Geschmacksveränderungen, Mundtrockenheit, schmerzhafte Mundschleimhautentzündungen, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen sind die Hauptgründe. Bei Tumoren im Kopf-Halsbereich kommt es oft – entweder durch den Tumor selbst oder infolge der Behandlung – zu Schluckbeschwerden. Tumore im Magen-Darmbereich können zu Resorptionsstörungen führen. Und letztendlich kann auch der Tumor selbst Auszehrung (Kachexie) bedingen, indem er chronische Entzündungen verursacht und den Stoffwechsel anregt. Eine individuell berechnete enterale oder parenterale Ernährung kann die Lebenserwartung und die Lebensqualität steigern.

In den Niederlanden ist bei stationärer Aufnahme ein initiales Screening durch Ernährungswissenschaftler und Diätassistenten obligatorisch. Ähnliche Teams gibt es auch in Deutschland, hierzulande sind sie jedoch nicht verpflichtend. „Dabei könnte das die Situation der Patienten verbessern“, argumentiert der Vizepräsident der DGEM, Professor Dr. Johann Ockenga. „Besonders besorgniserregend ist zudem, dass sich die ernährungsmedizinischen Strukturen tendenziell verschlechtert haben.“

Auch der Bundesverband der Medizintechnologie sieht dringenden Handlungsbedarf. „Wir benötigen ein verpflichtendes Ernährungsscreening in Kliniken und Pflegeheimen und die Einführung verbindlicher Qualitätskriterien in den Versorgungsprozess. Enterale Ernährungstherapien können dabei einen wichtigen Beitrag leisten", sagte BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll. Die DGEM spricht von einem deutlichen Defizit an ernährungsmedizinischer Fachkompetenz. Nur jede zehnte Klinikstation verfüge über eine Diätassistenz, die speziell für die ernährungstherapeutische Betreuung ausgebildet ist.

Home-Care Unternehmen müssten als Schnittstelle zwischen Arzt und Patient mehr berücksichtigt werden. Durch sie wird dem Patienten eine fachgerechte Versorgung mit enteraler Ernährung in häuslicher Umgebung ermöglicht. Der BVMed plädiert für die Einführung verbindlicher Qualitätskriterien in den Versorgungsprozess sowie für die Versorger. Der Verband bemängelt, dass trotz eines bestehenden gesetzlichen Auftrages der GKV-Spitzenverband noch immer keine Qualifikationsanforderungen an sonstige Leistungserbringer definiert, die mit enteraler Ernährung versorgen.