Ralf Oberbauer hat das Ende der eigenen Familienapotheke durchlitten. Als Apothekenvertreter hilft er jetzt Kollegen, die letzte Phase ihres eigenen Betriebs zu überstehen – mit Rat und Tat, aber auch als personelle Unterstützung am HV-Tisch.
Der Allgäuer weiß gut, wie sich eine Schließung so anfühlt. „Mein Vater hatte 1978 die St.-Lorenz-Apotheke in Kempten gegründet, ich übernahm sie 2007.“ In den Jahren darauf hätten sich die wirtschaftlichen Bedingungen rapide verschlechtert. „Zehn Ärzte zogen aus der Umgebung weg, die Stammkundschaft nahm ab, der Umsatz brach ein“, erinnert er sich. „Zudem gab es Stufen zum Eingang, aber ein Umbau zu Barrierefreiheit ließ sich baulich nicht bewerkstelligen. Baustellen in der Gegend verschärften die Bedingungen noch, es gab keine Parkplätze mehr.“ Dann sei auch noch der Vermieter mit unrealistischen Mietvorstellungen um die Ecke gekommen.
Oberbauer beschloss 2012, die Notbremse zu ziehen. „Ich weiß seitdem, mit welchen Emotionen man dabei ist, die Familienapotheke aufzulösen. Alles musste ich mir damals selbst erschließen, wie ich die Verträge auflöse, wann ich es dem Personal und wann den Kunden Bescheid sage, ob noch genug Mitarbeiter zum Abverkauf da sind, was hinterher mit der nicht verkauften Ware, der Einrichtung und den Laborgeräten passiert.“
Nach Abwicklung des Betriebs machte er sich als Apothekervertreter selbstständig. Quer durch die Republik von Berchtesgaden bis Flensburg übernimmt er vorübergehend Apothekenleitungen, Urlaubs-, Krankheits- und Schwangerschaftsvertretungen. Und er steht Kollegen zur Seite, die selbst vor einer Schließung stehen. „Ich weiß, was zu beachten ist und habe das Glück, gefühlsmäßig nicht betroffen zu sein. Der Apotheker ist froh über eine Hilfe, die gewährleistet, dass die nötigen Abläufe eingehalten werden.“
Sein Kundenklientel sei eher älter. „Viele Inhaber hatten das Rentenalter erreicht oder standen kurz davor“, berichtet Oberbauer. „Meist gehörte die Gesundheit zu den Hauptgründen, dass die Apotheke abgegeben werden sollte.“ Der jüngste sei 55 und schwer erkrankt gewesen, der älteste 68. „Allen Inhabern war die Leidenschaft für den Beruf anzumerken, allerdings auch ebenso der Frust über die Schließung und die Rahmenbedingungen, die sich in den letzten Jahren durch die Gesetzgebung teilweise sehr verschlimmert hatten.“
Bei den meisten sei der Standort unrentabel geworden: „Entweder betraf es kleinere Dorfapotheken oder Apotheken in Stadtrandlagen ohne Verbrauchermärkte ohne Ärzte in unmittelbarer Nachbarschaft“, sagt Oberbauer. „Die Kaufkraft in diesen Vierteln war meist sehr niedrig, dass ein Verkauf der Apotheke an mangelnden Interessenten scheiterte. Selbst bei Ablösung des Warenlagers ohne Verkaufserlös gab es keinen Kollegen, der eine dieser Apotheken kaufen wollte.“
Meist gebe vom Entschluss zur eigentlichen Schließung einen Vorlauf von mindestens einem Jahr. „Das ist meist eine ausreichende Zeit.“ Nur ein Kollege im Ruhrgebiet habe die Dinge bis zuletzt schleifen lassen. „Er war hilflos und komplett mit der Situation überfordert. An dem Standort war nichts mehr zu retten.“
Wenn er zur Unterstützung gerufen werde, arbeite er mit dem Kollegen Punkt für Punkt durch, was zu beachten sei, referiert Oberbauer: „Wann müssen die bestehenden Verträge etwa für Telefon oder Software gekündigt werden? Gibt es im Mietvertrag ein Sonderkündigungsrecht? Wie finanziere ich eventuell nach der Schließung noch anfallende Miete? Wann starte ich den Abverkauf, schon ein bis zwei Monate oder erst ein bis zwei Wochen vor der Schließung?“ Nicht verkaufte Ware könne unter Umständen an den Großhändler zurückgegeben werden, wenn auch zu deutlich schlechteren Konditionen.
Mit einem Personalschwund sei in der letzten Phase zu rechnen: „Die Erfahrung zeigt, dass sich die Mitarbeiter nach Bekanntgabe einer bevorstehenden Schließung peu à peu verabschieden.“ Den emotional zu stark verstrickten Apotheker unterstütze er dann am HV-Tisch und bei Notdiensten. Auf Wunsch übernehme er Behördengänge und organisiere den Rückbau und Verkauf der Apothekeneinrichtung.
Sollte die wirtschaftliche Lage gänzlich hoffnungslos sein, mache er eine Insolvenz zum Thema – ein Schreckgespenst für viele seiner Kollegen. „Sie fürchten sich vor einem sozialem Abstieg, dabei sind die Bedingungen deutlich humaner gestaltet als noch vor Jahren.“ Und er mache Mut für die Zeit „danach“: „Als selbstständiger Apotheker gibt man selbst den Kurs vor“, so Oberbauer. „Viele befürchten, dass sie ihrer Philosophie nach der Selbstständigkeit nicht mehr folgen können.“ Da sei es seine Aufgabe, die Ängste vor einem Angestelltenverhältnis zu nehmen. „Es geht weiter, das weiß ich aus eigener Erfahrung.“
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