Video-Apotheker: „Wir sind besser als DocMorris“ Deniz Cicek-Görkem, 15.05.2017 08:11 Uhr
Belegzellen, Sulfenamid, CYP2C19: Mit detailliertem Fachwissen kann der Kunde meistens nichts anfangen. Ein Apotheker aus Baden-Württemberg möchte das ändern und nutzt digitale Plattformen wie Youtube und Facebook, um die pharmazeutische Beratung und Kundenbindung mit Hilfe von Videos zu optimieren. „Zeit für Gesundheit“ lautet sein Motto – unterstützt wird er dabei von seinem Maskottchen Bruno.
Jan Reuter, Inhaber der Central-Apotheke in Walldürn, verlor im vergangenen Jahr eine Wette gegen seine Mitarbeiterin. „Wer berät seine Kunden besser?“, war die Frage – und aus der Niederlage fruchtete eine Idee: Beratungsvideos drehen. Seinen treuen Begleiter, den Teddybären, entdeckte er im Kinderzimmer seines Sohnes. Dieser bekam ein Apotheken-A auf sein Shirt und wurde spontan „Bruno“ getauft.
Mit seinem ersten und erfolgreichsten Facebook-Video „Entgiftung und Ausleitung“ im Oktober 2016 erhielt er in einer Woche bereits 20.000 Klicks. „Mit Facebook erreicht man eher die ältere Generation“, bemerkt Reuter. Dagegen könne man mit jungen Menschen gut über Snapchat in Verbindung treten. Aber auch auf anderen Plattformen wie Twitter und Instagram ist der Pharmazeut aktiv. Digitalisierung betrachtet er als Chance und Gefahr zugleich. „Als Heilberufler muss man an die Emotionen der Menschen herankommen“, so der Apotheker.
In seinem aktuellen Video „Protonenpumpenhemmer – eine neue Hoffnung. Bruno auf Heldenreise zur Protonenpumpe“ zeigt er den Weg des Wirkstoffs Omeprazol zum Wirkort und gibt Informationen zur Anwendung. Dabei benutzt er Bruno als Metapher: Er sitzt mit seiner Fliege in einem Lego-Luftfahrtschiff und macht sich auf den Weg zur Belegzelle, wo die Protonenpumpe gehemmt werden soll. Auf dem Weg dahin verliert er jedoch die beiden Dinge, was die Funktion als Prodrug symbolisieren soll. Um derartiges Fachwissen aus Lehrbüchern verständlicher zu machen, arbeite Reuter immer mit dem Hintergrund: „Wie kann ich kompliziertes Wissen an den Menschen weitergeben?“.
Die Videos finden regen Zuspruch bei Kunden, aber auch die Pharmaindustrie sei sehr interessiert an seiner digitalen Kundenberatung. „Jegliche Angebote habe ich abgelehnt“, sagt Reuter. Neben den hauptsächlich positiven Rückmeldungen bekam der Pharmazeut auch Kritik: „Du bist eine Schande“, sagte ein Kollege. Aber es gebe auch konstruktive Bemerkungen, die zur Verbesserung beitragen könnten. „Die nächsten Videos werde ich weniger bunt, prägnanter und in einem besseren Setting präsentieren.“ Weitere 20 seien in Planung.
Zusätzlich zu seiner Tätigkeit in der Apotheke ist der Pharmazeut national und international als Dozent tätig. Er hält monatlich Vorträge für Kunden, „die Nachfrage ist sehr groß“, berichtet Reuter. Zudem bietet der Apotheker, der sich in Homoöpathie und Naturheilkunde weitergebildet hat, eine naturheilkundliche Sprechstunde an. „Gegebenenfalls kontaktiere ich Ärzte und Therapeuten, um die Behandlung zu optimieren“, sagt er.
Wöchentlich stellt er ein pharmazeutisches Thema gemeinsam mit seiner Kollegin Ann-Kathrin Kossendey-Koch per Skype vor und diskutiert über Empfehlungen von Arzneimitteln. Aber auch für Beratungen biete er die Plattform an, denn seine „Skype-Sprechstunde“ sei „nichts anderes als ein normales Beratungsgespräch“. Sein Interesse gelte der langfristiger Kundenbindung; durch die Videos habe er viele Neukunden für seine Landapotheke gewinnen können, die sogar 20 bis 30 km Entfernung in Kauf nähmen. „Die Apotheke vor Ort kann mit der Digitalisierung auch mithalten. Wir sind empathischer als DocMorris und Amazon“, so Reuter.