Zyto-Skandal

Verfallware im Privatkeller

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Berlin -

Im Zyto-Skandal von Bottrop hat das Recherchenetzwerk Correctiv neue brisante Details ausgegraben. Demnach gab es im Haus der Apotheke einen Raum, der mit der Aufschrift „Privat“ versehen war. Er gehörte formal nicht zur Alten Apotheke und durfte daher nicht durchsucht werden. Hier lagerten laut Correctiv unter anderem abgelaufene Krebsmedikamente. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Mutter von Peter S., die die Apotheke aktuell wieder führt.

Der Mutter des angeklagten Pharmazeuten gehörte die Alte Apotheke seit den 1980er Jahren, 2009 übernahm Peter S. den alteingesessenen Familienbetrieb im Zentrum von Bottrop in vierter Generation. Die Mutter blieb aber im Unternehmen, was laut Correctiv nicht immer ohne Reibungen blieb.

Obwohl laut Correctiv spätestens seit Juli 2001 Chemotherapien in der Apotheke hergestellt wurden, will die Mutter von den jetzt verhandelten Missständen nichts mitbekommen haben. Vor Gericht sagte vor Kurzem eine ehemalige Mitarbeiterin aus, dass sie abgewiegelt worden sei, als sie auf die fehlende Schutzkleidung hingewiesen habe.

Als S. 2012 auch das Haus der Alten Apotheke übernahm, garantierte er seiner Mutter laut Correctiv eine lebenslange Zahlung von mehreren tausend Euro im Monat und versprach ihr ein unentgeltliches Wohnrecht in dem Haus. Sie besaß auch einen Keller, berichtet das Netzwerk unter Berufung auf den Übernahmevertrag.

Obwohl dieser Privatraum damit nicht zur Alten Apotheke gehörte, wurden hier unter anderem Übervorräte von Krebsmitteln gehortet, wie eine ehemalige Mitarbeiterin laut Correctiv vor Gericht aussagte. Sie gab an, sich an eine besonders große Sendung aus dem Jahr 2014 zu erinnern, die im Keller untergebracht worden sei. In der Apotheke sei das Gerücht umgegangen, die Kisten mit den abgelaufenen Krebsmitteln würden immer leerer, sagte eine zweite Zeugin vor Gericht.

Correctiv hat nun Fotos aus diesem Privatkeller veröffentlicht, die am 9. Februar 2015 aufgenommen worden sein sollen. Neben Carboplatin finden sich auch Packungen von 5-Fluorouracil und Irinotecan in dem Regal. Alle diese Krebsmittel stammen von Hexal – die Verteidigung hatte die Diskrepanz zwischen Einkaufs- und Abrechnungslisten unter anderem damit erklärt, S. habe einem Vertreter Medikamente aus dem Kofferraum abgekauft. Der Konzern hatte umgehend dementiert. Der Außendienstler muss demnächst vor Gericht aussagen.

Laut Correctiv waren die Medikamente abgelaufen, was teilweise auch auf den Fotos zu sehen ist. Im Prozess spielen sie allerdings keine Rolle, da die Quoten aus Einkauf und Abrechnung hier zwischen 90 und 108 Prozent liegen. Die Staatsanwaltschaft hatte laut Correctiv nur Wirkstoffe in die Anklage aufgenommen, bei denen weniger als 70 Prozent der abgerechneten Mengen eingekauft wurden.

Dem Bericht zufolge könnte das Lager aber wichtig sein, was die Rolle der Mutter angeht. Denn wenn es ihr Keller war, musste sie auch über die eingelagerten Medikamente Bescheid gewusst haben, so der Tenor.

Ihr Anwalt teilte gegenüber Correctiv mit, dass seine Mandantin keine Kenntnisse von irgendwelchen Missständen in ihrer Apotheke gehabt habe. Als „Dame in fortgeschrittenem Alter“ sei es ihr unmöglich gewesen, eventuelle Fehler ihres Sohnes zu erkennen, wird der Anwalt zitiert. Zumal sogar eine Ermittlung der Staatsanwaltschaft 2014 im Sande verlaufen sei. Es gebe etliche Mitarbeiter der Apotheke, die beschwören wollten, dass die Mutter nichts von den Missständen in ihrem Privatkeller mitbekommen habe.

Abgesehen davon, dass sie in der Zeit als Inhaberin die Verantwortung für den Betrieb getragen habe, sei sie auch später noch in den Betrieb involviert gewesen, argumentiert Correctiv. Vor allem auf die Abrechnungen habe sie ein Auge geworfen, wird eine Zeugin zitiert. So habe sie die Zuzahlungen der Patienten für die Zytostatika kontrolliert und nicht bezahlte Rechnungen angemahnt. Selbst nachdem der Skandal aufgeflogen war, habe sie noch Krebskranke abtelefoniert, die ihre mutmaßlich gepanschten Arzneien nicht bezahlt hatten, schreibt Correctiv unter Berufung auf Betroffene.

Das Recherchenetzwerk weist darauf hin, dass Apothekern die Approbation beziehungsweise Betriebserlaubnis entzogen werden kann, wenn ihnen Unzuverlässigkeit nachgewiesen wird. Die Mutter hatte die Apotheke im März 2017 wieder übernommen, doch schon damals zweifelte die Bezirksregierung Münster an der Behauptung der Apothekerin, von all den Vorgängen nichts bemerkt zu haben.

„Es mag [...] verwundern, dass einer pharmazeutisch ausgebildeten Person, die sich regelmäßig mit den Belangen der Apotheke umfänglich auseinandergesetzt haben will, derart schwerwiegende und zwischenzeitlich nachgewiesene Mängel in der Herstellung über einen so langen Zeitraum verborgen geblieben sind“, zitiert Correctiv aus einem internen Schreiben. „Hier wäre bei geringster Kenntnis ein Einwirken im Sinne der Patientensicherheit geboten gewesen. Ein Unterbleiben wiederum dürfte die Frage der Zuverlässigkeit fundamental berühren.“

Laut Correctiv gab die Stadtverwaltung kurz nach der Razzia intern die Parole aus, dass die Alte Apotheke als wichtiger Arbeitgeber der Stadt erhalten werden müsse. So soll die Amtsapothekerin dem Anwalt der Mutter im Dezember 2016 in Aussicht gestellt haben, die Apotheke wieder übernehmen zu können.

Später verklagte der Anwalt der Mutter die Stadt Bottrop vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, um die Betriebserlaubnis für die Mutter zu erstreiten. Er trug laut Correctiv vor, dass es keine Sippenhaft in Deutschland gebe – und solange der Mutter nicht nachgewiesen worden sei, dass sie etwas mit dem Tun ihres Sohnes zu tun habe, dürfe ihr die Arbeit und die Übernahme der Alten Apotheke nicht verboten werden.

Die Stadt gab nach. Es habe zwar kein Urteil durch das Verwaltungsgericht gegeben, zitiert Correctiv einen Vertreter der Verwaltung. Aber im Laufe des Verfahrens seien Dokumente vorgelegt worden, die zu einer Änderung der Einschätzung durch die Behörde geführt hätten. „Einen Deal hat es aber nicht gegeben.“

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