Nachtdienstgedanken

Valsartan: Wer bezahlt unsere Mehrarbeit? Sarah Sonntag, 15.07.2018 08:07 Uhr

Berlin - 

Patienten sind besorgt, Apothekenmitarbeiter sortieren fleißig betroffene Lagerware aus. Irgendwo zwischen dem chinesischen Lohnhersteller, den Herstellern hierzulande, der Arzneimittelkommission (AMK) und den Krankenkassen stehen wir. Also diejenigen, die wieder alles ausbaden müssen.

„Ich habe im Internet gelesen, dass mein Blutdrucksenker krebserregend ist. Ich möchte sofort ein anderes Medikament”, forderte diese Woche ein Kunde bei uns in der Apotheke. Es müsse doch möglich sein, die Tabletten zu ersetzen. Wir sollen mal nicht so „rummachen“! Ich kann auch nur das sagen, was uns von den Behörden weitergegeben wird: Tabletten nicht eigenständig absetzen, weiter schlucken und sich an den Arzt wenden.

Das Problem ist: Wie soll ich dem Kunden noch näher bringen, dass das Risiko größer ist, wenn er seinen Blutdrucksenker nicht einnimmt? „Die Substanz ist zwar krebserzeugend, aber eigentlich ungefährlich.“ Das kauft mir doch keiner ab. Krebs ist ein K.o.-Argument. Die Menschen rauchen, schlucken aber diese Tabletten nicht. Würde ich Valsartan noch einnehmen? Ich weiß es nicht. Einerseits hat das Wort „kanzerogen“ eine mächtige Bedeutung, andererseits führt Hypertonie zu Folgeerkankungen und im schlimmsten Fall zu einem Herzinfarkt. Und nun ja, es ist auch die Rede von Konzentrationen im ppm-Bereich. Das Wasser ist doch auch voll mit Arzneimitteln, was soll’s?

Die Verunreinigung mit N-Dimethylamin sei nicht zu erwarten gewesen. Wie kommt man denn darauf? Wenn ich als Hersteller einen Syntheseweg ändere, sei es auch nur minimal durch den Einsatz eines anderen Lösungsmittels, muss ich wissen, dass theoretisch auch andere Nebenprodukte entstehen können. Die Chinesen haben bei der Vorlesung „Organischen Chemie“ wohl nicht aufgepasst. Aber auch die Behörden haben damals, als die neue Methode angemeldet wurde, keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, die Sache zu hinterfragen. Sonst sind sie doch auch immer kleinkariert. War anscheinend nicht wichtig, Hauptsache der Preis stimmt!

Was mich auch ärgert, ist die Mehrarbeit, die das Ganze verursacht: Aussortieren, Herumtelefonieren, Einpacken etc. Stundenlang wird man blockiert und steht nicht für die Beratung zur Verfügung. Wer bezahlt das? Wir dürfen uns wieder um alles kümmern. Immerhin übernehmen die Kassen die im Zuge der Umstellung anfallenden Kosten für die Patienten – und feiern sich dafür selbst. Wenn der Versorgungsengpass offiziell bekannt ist, verspricht man sogar die Übernahme der Mehrkosten. Mal was Positives bei der ganzen Geschichte. Oder kann man dem Braten nicht trauen?

Man hat auch gesehen, dass die AMK nicht bereit für einen solchen Fall ist. Die Server waren lahmgelegt, nichts ging mehr. Ich habe das Gefühl, dass wir in der Apotheke den digitalen Umbruch verschlafen haben. Ob es besser wird? Wir werden es sehen. Doch dafür brauche ich Geduld. Abwarten und Tee trinken. Die ABDA ist jetzt auch wach: Die Standesvertretung hat es „zeitnah“ geschafft, einen Download mit den betroffenen Präparaten zu Verfügung zu stellen. Da waren selbst Lari-fari-Gesundheitsseiten schon weiter...

Wird denn die Valsartan-Rückrufwelle ein Einzelfall sein? Ich glaube eher nicht. Bei dieser Philosophie des „Hauptsache billig!“ stehen noch einige stürmische Zeiten vor unserer Tür.