Erschießung statt Giftspritze dpa, 24.03.2015 15:05 Uhr
Der US-Bundesstaat Utah hat ein Gesetz beschlossen, dass die
Wiedereinführung von Hinrichtungen durch Erschießen vorsieht. Damit reagieren die US-Behörden auf den Boykott europäischer Pharmafirmen. Dieser führt zu Engpässen bei den erforderlichen Chemikalien.
18. Juni 2010, kurz nach Mitternacht: Im Gefängnis in Draper (Utah) zielen fünf Schützen auf ein kleines Stückweißen Stoff. Es ist über dem Herzen von Ronnie Lee Gardnerbefestigt. Der Todeskandidat sitzt. Arme, Beine und Kopf sind mit Riemen festgezurrt. Ein Wachmann zieht eine schwarze Kapuze über den Kopf des verurteilten Mörders. Nervenaufreibendes Warten. Dann folgen die Schüsse, alle gleichzeitig. Gardners Hand ballt sich zur Faust, erschlafft wieder. Zwei Minuten später ist er tot.
So hat ein anwesender Reporter die Hinrichtung durch ein Erschießungskommando beschrieben. „Ronnie wusste, wie unmenschlich das sein würde“, sagt Gardners Bruder Randy. „Es ist sehr eigenartig, wenn jemand plant, deinen Bruder zu erschießen, und man kann nichts dagegen tun.“ Ronnie Gardners Tod sollte eigentlich die letzte Hinrichtung durch ein Erschießungskommando in der Geschichte der USA sein.
Aber da den US-Behörden die Chemikalien für ihre Giftspritzen ausgehen, könnten sich solche Szenen bald wiederholen: Sollte es künftig in Utah Engpässe bei Substanzen für die Giftspritze geben, dürfen die Verurteilten erschossen werden. Mit der Unterschrift von Gouverneur Gary Herbert ist das Gesetz in Kraft getreten.
Es sei schlimm, wenn jemand ein so schweres Verbrechen begehe, dass die Todesstrafe verdiene, sagte Herberts Sprecher Marty Carpenter. „Aber wenn eine Jury diese Entscheidung trifft und ein Richter das Todesurteil unterschreibt, dann ist es die Pflicht der Exekutivgewalt, diese rechtmäßige Entscheidung zu vollstrecken.“ Das neue Gesetz stelle dies sicher.
In den 32 US-Staaten mit Todesstrafe wird hauptsächlich eine Giftspritze eingesetzt. Doch die EU beschränkt die Ausfuhr von Substanzen für diese Giftcocktails. Auch viele Hersteller haben Bedenken. Dies betrifft vor allem Natrium-Thiopental, ein Betäubungsmittel. Als Ersatz verwenden die Behörden mancher Bundesstaaten Pentobarbital. Doch der dänische Hersteller Lundbeck weigert sich, es für Hinrichtungen in die USA zu liefern. Bei einem weiteren möglichen Ersatz, dem Narkosemittel Propofol, gab es ebenfalls Widerstand vom deutschen Hersteller Fresenius.
Den Strafvollzugsbehörden in Utah fehlen inzwischen diese Mittel, in Texas wurde kürzlich die vorletzte Dosis verwendet. Um weitere Hinrichtungen zu vollstrecken, improvisierten sie mit anderen Giftcocktails – mit schlimmen Folgen. In mehreren Fällen starben Todeskandidaten qualvoll. Bei einem Mann in Arizona dauerte der Todeskampf fast zwei Stunden.
Angesichts dieser Hinrichtungen berät der Oberste Gerichtshof der USA darüber, ob die Injektion ein verfassungsmäßiges Verbot von grausamer und ungewöhnlicher Bestrafung verletzt. Als Folge der Diskussion gibt es Bestrebungen, Hinrichtungsmethoden aus früheren Zeiten wiederzubeleben.
In Alabama stimmte das Unterhaus kürzlich für die Wiedereinführung des elektrischen Stuhls. In Louisiana und Oklahoma ist die Gaskammer als Alternative im Gespräch. Außer Utah diskutieren auch Wyoming und Arkansas den Einsatz von Erschießungskommandos. Oklahoma erlaubt diese bereits, aber nur wenn das Gericht den Einsatz der Giftspritze untersagt.
Diese neuen Gesetze würden eine Reihe von Gerichtsverfahren nach sich ziehen, sagt Richard Dieter vom Informationszentrum zur Todesstrafe. Die Hinrichtungsmethoden seien aufgegeben worden, „vermutlich, weil man sie als grausam einschätzt und sie sind auf jeden Fall heutzutage ungewöhnlich“. Doch welche Alternative es geben könnte, weiß er auch nicht.
In Utah unterstützen 70 Prozent der Bevölkerung die Todesstrafe. Der Staat hatte 2004 die Hinrichtung durch Erschießen abgeschafft, doch Häftlinge wie Ronnie Gardner, die vor dieser Entscheidung verurteilt worden waren, können noch immer diese Todesart wählen. Das neue Gesetz sieht Erschießung vor, wenn bis 30 Tage vor dem Hinrichtungstermin keine Giftspritze verfügbar ist.
Die Abgeordneten hatten kaum Bedenken, nur der Fraktionsführer der Demokraten nannte es barbarisch. Der republikanische Abgeordnete Paul Ray, der den Vorschlag eingebracht hatte, meinte hingegen, dies sei einer der humansten Wege, jemanden hinzurichten.
Randy Gardner, heute ein überzeugter Kämpfer gegen die Todesstrafe, war bei der Hinrichtung seines Bruders nicht dabei. Es wäre für beide zu schwierig gewesen, sagt er. Er sah die von Kugeln getroffene Leiche seines Bruders nach der amtlich verordneten Autopsie. „Ist das nicht seltsam?“ fragt Gardner. „Sie machen eine Autopsie, dabei wissen sie doch genau, wie er starb.“