Apothekerin muss Schadenersatz zahlen Julia Pradel, 09.05.2015 08:35 Uhr
Eine Apothekerin aus Hamburg hatte massenhaft Online-Händler abgemahnt – nun muss sie Schadenersatz leisten. Das Landgericht Hamburg (LG) entschied in einem Fall, dass die Abmahnung rechtsmissbräuchlich war und der beteiligte Anwalt sittenwidrig handelte. Die Pharmazeutin und ihr Jurist müssen dem Händler, den sie selbst auf Erstattung ihrer Abmahnkosten verklagt hatten, nun dessen Anwaltskosten in Höhe von 550 Euro nebst Zinsen erstatten.
Die Apothekerin hatte im Oktober 2011 eine Apotheke in Blankenese übernommen. Schon kurz danach wurden die ersten Abmahnungen durch ihren Rechtsanwalt Patrick Richter von der Hamburger Kanzlei Richter & Süme verschickt. Sie bezogen sich meist auf vermeintlich fehlerhafte oder fehlende Grundpreisangaben bei Angeboten im Internet. Bis heute sollen mehr als hundert Abmahnungen zusammengekommen sein.
Die Daten hat Rechtsanwalt Alexander F. Bräuer, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und Partner bei der Anwaltskanzlei Weiß & Partner in Esslingen, zusammengetragen, der einige Betroffene vertritt. „Es ist sehr kompliziert, Rechtsmissbrauch nachzuweisen“, sagt er. Umso erfreulicher ist aus seiner Sicht das aktuelle Urteil, das seine Kanzlei erstritten hat.
Bereits 2013 konnte Bräuer einen ersten Erfolg verbuchen: Nachdem zahlreiche Indizien für den Rechtsmissbrauch vorgebracht wurden, zog die Apothekerin ihre Klagen auf Unterlassen und Zahlung der Abmahnkosten zurück. Das Gericht erließ ein sogenanntes Verzichtsurteil ohne Begründung. Die Frage des Rechtsmissbrauchs war damit aber noch nicht gerichtlich geklärt.
In der Folge wurden weitere Abmahnungen von der Apothekerin und ihrem Anwalt verschickt, nun vor allem wegen vermeintlich unzulässigen Aussagen über die Wirkweise von Produkten oder Verstößen gegen die Health-Claims-Verordnung. Das betraf auch einen Online-Händler, der im Mai 2014 wegen gesundheitsbezogener Angaben in der Werbung für das Produkt Urovit Cranberry Pulver abgemahnt wurde.
Dieser Fall wurde nun vor dem LG verhandelt. Bräuers Kanzlei brachte vor, dass die Apothekerin in relativ kurzer Zeit nach der Übernahme ihrer Apotheke 89 Abmahnungen ausgesprochen habe. Von November 2011 bis Februar 2013 sollen es insgesamt mindestens 166 gewesen sein. Das Gesamtkostenrisiko habe sich auf 1,3 Millionen Euro belaufen, rechnete der Anwalt vor. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Apothekerin gäben diese umfangreiche Abmahnpraxis aber nicht her – was ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch wäre.
Die Kanzlei geht davon aus, dass die Apothekerin in keinem Fall die Kosten für die Abmahnung selbst getragen hat – daher sei die Forderung nach Erstattung absurd. Die Apothekerin könne nicht etwas ersetzt bekommen, was sie selbst nie zu zahlen gehabt habe.
Dem stimmten die Richter zu. Zwar sei eine umfangreiche Abmahntätigkeit für sich genommen noch nicht rechtsmissbräuchlich. Das Vorgehen müsse aber in einem vernünftigen Verhältnis zur eigentlichen Geschäftstätigkeit stehen. Kritisch ist laut Gericht auch, wenn der beauftragte Anwalt das Abmahngeschäft „in eigener Regie“ betreibt, selbst Wettbewerbsverstöße ermittelt oder das Kostenrisiko trägt.
Vor diesem Hintergrund sahen es die Richter als erwiesen an, dass die Apothekerin Kosten einforderte, die in Wahrheit nicht existierten. Denn die Kosten für die Abmahnung übernahm der Anwalt. 25.000 Euro trug dessen Haftpflichtversicherung, weitere 15.000 Euro für verlorene Verfahren zahlte er aus eigener Tasche, vorgeblich um eine gute Mandantin zu halten – „nach dem Motto, die Hand, die einen füttert, nicht zu beißen“, werteten die Richter.
Der Anwalt habe der Apothekerin das Ausfallrisiko „systematisch und bewusst“ abgenommen. Darin sehen die Richter einen Rechtsmissbrauch. Das eigene Kostenrisiko des Unternehmers solle bei Abmahnungen gerade als Korrektiv wirken. Dieses werde jedoch durch die Kostenübernahme durch den Anwalt ad absurdum geführt, was wiederum einer Verselbstständigung der Abmahntätigkeit gleichkomme.
Zwar könne die Apothekerin grundsätzlich die Verstöße von Mitbewerbern verfolgen. Dies berechtige sie aber nicht zur Geltendmachung wirtschaftlich nicht existenter Forderungen. Im vorliegenden Fall wurde aber offenbar erst im Verfahren überhaupt eine Rechnung gestellt.
Der Anwalt habe sich sittenwidrig verhalten, da er sich zu Lasten der Beklagten Einkünfte verschaffen wollte, so die Richter. Hinzu komme, dass er in dem vollen Bewusstsein gehandelt habe, seiner Auftraggeberin das Ausfallrisiko abgenommen zu haben – und dies der Gegenseite nicht offenbarte.
Aus Sicht von Bräuer stellt das Urteil – auch wenn es noch nicht rechtskräftig ist – einen „Lichtblick für alle Abgemahnten“ dar. Sie könnten die Entscheidung zum Anlass nehmen, ihren Vorgang erneut rechtlich überprüfen zu lassen. „Zumindest theoretisch wäre es – je nach Einzelfall – denkbar, auf Grundlage dieser Entscheidung Unterlassungserklärungen zu kündigen oder sogar gezahlte Abmahnkosten zurück zu verlangen“, so Bräuer.