„Ich doch nicht!“ „Das geht schon von alleine wieder weg.“ „Deshalb muss ich nicht zum Arzt.“ Professor Dr. Norbert Brockmeyer kennt die Mechanismen der Verdrängung, wenn es um sexuell übertragbare Infektionen, kurz STI, geht. Syphilis, Tripper und ähnliche Krankheiten nehmen seit Jahren wieder zu in Deutschland, wie der Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft sagt. Und auch wenn sich oft keine akuten Symptome zeigen, sind die Folgen keineswegs harmlos. Die Hürden beim Zugang zu Tests müssten deshalb schwinden, fordern Experten vor dem Welttag der sexuellen Gesundheit am 4. September.
Bisher ist es so, dass Testwillige sich nicht nur selbst ihr Risiko eingestehen müssen, sie müssen sich auch jemandem offenbaren – beim Arzt, dem Gesundheitsamt oder etwa in den sogenannten Checkpoints von Aids-Hilfen. In anderen Ländern wie Großbritannien kann man sich ohne jeglichen Kontakt zum Arzt Tests nach Hause schicken lassen, selbst die Proben entnehmen und diese ins Labor schicken, wie Armin Schafberger, Medizinexperte bei der Deutschen Aids-Hilfe, sagt. Die Kosten würden übernommen. Körperliche Untersuchungen, peinliche Momente und die Angst, moralisch verurteilt zu werden, fallen so weg.
Geschäftsleute haben die Lücke in Deutschland erkannt und bieten über das Internet diverse STI-Schnelltests für den Heimgebrauch an. Die Seiten seien auf Deutsch, sähen seriös aus und Tests hätten oft das CE-Zeichen, sagt Experte Dr. Klaus Jansen vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Antibiotika würden gleich mit angeboten. Käufer bekämen jedoch Tests, die nicht auf bewährten Methoden beruhten und wenig aussagekräftige Ergebnisse lieferten. Auf dem deutschen Markt sei die Abgabe von Heimtests ohne vorherigen Arztkontakt bisher nicht möglich, sagt Jansen. Grund ist das Fernbehandlungsverbot – dessen Lockerung ist aber bereits beschlossen.
Mit dem Pilotprojekt „S.A.M“ in Bayern versucht nun unter anderem die Deutsche Aids-Hilfe, die bequeme Proben-Entnahme mit hiesigem Recht in Einklang zu bringen: mit einem Testpaket auf HIV, Syphilis, Tripper und Chlamydien. Mit einer Abo-Option sei das Testpaket insbesondere für Menschen gedacht, die sich regelmäßig testen wollen, denen auf dem Land aber die richtigen Anlaufstellen fehlen. Das könnten Homo- und Heterosexuelle mit wechselnden Partnern ebenso wie Sexarbeiterinnen sein, sagt Schafberger. Interessenten müssen nur ein Mal zu einer Beratung gehen, können den Rest zuhause erledigen. Das heißt: selbst Blut, Urin sowie Abstriche nehmen.
Ein ähnliches Projekt mit der Aids-Hilfe Nordrhein-Westfalen läuft auch bei Brockmeyer in Bochum. Dabei umfasst das Testspektrum zusätzlich Mykoplasmen – bakterielle Infektionen, die dem Experten wegen zunehmender Antibiotika-Resistenzraten Sorgen bereiten. In beiden Projekten würden bewährte, sichere Testverfahren eingesetzt, gegen die nichts einzuwenden sei, sagt RKI-Forscher Jansen.
Anders als bei den HIV-Heimtests, die ab Herbst leichter in Deutschland erhältlich sein sollen, können Nutzer das Ergebnis bei diesen STI-Test-Angeboten nicht selbst ablesen. Sie müssen Proben zur Laboruntersuchung einschicken und ungefähr drei Tage Geduld haben. Der Befund wird am Telefon übermittelt, damit verbunden ist eine Beratung zu den Behandlungsmöglichkeiten.
Das Testpaket kostet insgesamt 32 Euro. Experten sind sich einig, dass das noch ein Hemmschuh sein dürfte. Die Aids-Hilfe will in Bayern bis Juli 2019 erproben, ob das Angebot angenommen wird, wie Schafberger sagt. Für ihn machen Selbstentnahme-Tests auch mit Blick auf den sich verschärfenden Ärztemangel im Land Sinn. „Langfristig ist es unser Ziel, das Angebot bundesweit auszudehnen und auch Gesundheitsämter und Arztpraxen einzubinden“, sagt er.
Erfahrungswerte mit kostenlosen STI-Tests hat das Gesundheitsamt Bochum. Diese wurden Menschen angeboten, die sich eigentlich nur auf HIV testen lassen wollten. Von 1225 Teilnehmern im Vorjahr gab es etwa bei jedem Zehnten einen Treffer. Generell muss man nicht im Wochentakt neue Partner haben, um gefährdet zu sein: Laut einer Faustregel besteht ab drei Sexpartnern pro Jahr ein erhöhtes Risiko.
„Das Problem sind die Leute, die meinen, sie seien nicht infiziert“, betont Brockmeyer. Gerade weil Betroffene oft keine auffälligen Symptome hätten, werde die Diagnose in mehr als jedem zweiten Fall erst spät gestellt – möglicherweise nachdem der Erreger mehrfach weitergegeben wurde. Dabei können manche STI durchaus Langzeitfolgen haben. Zum Beispiel können Gonokokken oder Chlamydien, die weltweit zu den verbreitetsten STI gehören, unbehandelte Frauen und Männer unfruchtbar machen. Und durch Infektionen mit Syphilis, Chlamydien und/oder Gonokokken steigt auch das Risiko für eine HIV-Infektion.
Dass sexuell übertragbare Infektionen überhaupt wieder im Kommen sind, hat mehr als eine Ursache. Unter anderem dürften Kondome durch die gute Behandelbarkeit und Vorbeugung bei HIV wieder an Bedeutung verloren haben. Beim Kondom-Verzicht spielten auch die Möglichkeiten der Anbahnung von Sex über Partnerbörsen und Apps eine Rolle, sagt Brockmeyer - weil sich die Paare vermeintlich schon kennen. Jugendlichen fehle es an entsprechender gesundheitlicher Bildung und somit am Wissen, sagt der Experte.
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