Umweltschutz

Taschengeld für Tütenverzicht

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Berlin -

In der Engel-Apotheke in Ulm bekommen Kunden derzeit Geld, wenn sie verzichten: 5 Cent „Taschengeld“ verschenkt Inhaber Timo Ried für jede Plastiktüte, die nicht in Anspruch genommen wird. Mit der Aktion will er der „Plastiktüten-Flut“ etwas entgegensetzen. „Das soll der Einstieg in den Ausstieg sein“, so Ried. Er will Kunden anregen, der Umwelt zuliebe auf die „sonst obligatorische Plaschtik-Gugg“ zu verzichten. „Irgendeiner muss ja mal den Anfang machen“, so der Flyer „und sei es nur in Ulm“.

In deutschen Apotheken würden täglich rund zwei Millionen Plastiktüten abgegeben, schätzt Ried – das macht 600 Millionen Wegwerftüten pro Jahr. Durchschnittlich 30 Minuten würden die leichten Plastiktüten genutzt. „Wir halten das für einen Wahnsinn, verzichtbar obendrein.“

„Wir aasen mit dem Planeten rum und denken, dass es nicht zurück auf unseren Tisch kommt.“ Jedoch würden längst nicht alle Tüten in der Müllverbrennungsanlage landen. Stattdessen fänden sich große Mengen in Flüssen, Seen und Weltmeeren wieder, auch im Bodensee und im Genfer See. Sie „töten deren Bewohner, verderben die Natur – und uns auch den Appetit, zu Recht“, so Ried. In vielen Ländern sei es schon heute verboten, Plastiktüten gratis abzugeben, „nur Deutschland tut sich damit schwer.“

Vor kurzem hätten Rieds Mitarbeiter ihn darauf aufmerksam gemacht, dass auch sie zu viele Tüten abgeben würden. „Wir Apotheken sind Weltmeister im Verschenken. Verschenken führt aber nicht dazu, dass die Leute bewusst damit umgehen.“ Beim Anblick der jüngsten Plastiktüten-Lieferung, einer Palette mit dem Jahresaufkommen von 200.000 Stück, habe sich das Team entschlossen: „Wir wollen das – zusammen mit unseren Kunden – in Zukunft besser machen!“

Zur Vernunft komme der Mensch erst, „wenn es über's Geld geht“, so Ried. Verlange man aber Geld, verärgere man die Kunden. „Die Umdrehung dagegen kommt total sympathisch rüber.“ Die durchschnittlichen Kosten von 5 Cent pro Plastiktüte würden deshalb an alle Kunden weitergegeben, die eine eigene Tasche mitbringen.

Ried landet am Ende der Rechnung bei Null: „Mir ist es lieber, wenn der Kunde das Geld bekommt, statt der Hersteller von Plastiktüten.“ Ein solches Konzept könne an jedem Standort problemlos umgesetzt werden, sagt er. Man tue ein gutes Werk und punkte beim Image.

Mittlerweile hängen Werbeflyer und stehen Schilder in allen sechs Apotheken von Ried und seiner Ehefrau Brigitte. In alle 20 Kassen sei der Rabatt einprogrammiert worden und damit auch auf dem Kassenbon ausgewiesen.

Bis vor kurzem hätten rund 40 Prozent der Patienten die kostenlose Tüte in Anspruch genommen. Ried hofft, mit der Aktion die Quote halbieren zu können. Am Jahresende will er den Kunden mitteilen, wie viele Plastiktüten insgesamt eingespart wurden. „Vielleicht steigen ja manche dauerhaft um.“

Von der ersten Resonanz ist er zumindest überrascht: „Wir haben ein bisschen unterschätzt, wie gut das angenommen wird. Die Botschaft wurde draußen sehr schnell verstanden.“ Die Kunden seien begeistert, „das Wort Taschengeld kennt ja jeder.“ Pro Tag spare er nun 300 bis 400 Tüten.

Seit rund zehn Jahren ist Ried Mitglied bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace, er hat sämtliche Ökobilanzen von Papier- und Plasiktüten „rauf und runter gelesen“. Auch Papier sei in der Herstellung nicht unproblematisch, sagt er. Seine Engel-Apotheke gebe es seit 325 Jahren, in den ersten 275 Jahren – bis Mitte der 60er – habe kein Kunde eine Tüte gebraucht, um seine Arzneien nach Hause zu bringen. „Das sollte doch auch heute möglich sein“, appelliert Ried.

Auch Drogerien sind mit der Ausgabe von Plastiktüten mittlerweile zurückhaltender: Bei der Drogeriemarktkette Müller mit Sitz in Ulm zahlt der Kunde seit Februar 5 bis 15 Cent für eine Tüte, je nach Größe. Die europaweit angelegte Maßnahme zeigt inzwischen Wirkung: Die Nachfrage sei um 85 Prozent zurückgegangen. Nach einem Testlauf will auch die Drogeriekette dm künftig kleine Plastiktüten berechnen. Dabei treffe jede Filiale die Entscheidung zur Umsetzung selbst.

Für den Apothekenbedarf haben bereits verschiedene Anbieter umweltfreundliche Alternativen entwickelt: Bei Wepa gibt es eine Serie von Tragetaschen mit dem „Blauen Engel“ – ein Zertifikat für besonders umweltschonende Produkte. Die Taschen sind zu 70 Prozent aus recyceltem Kunststoff hergestellt, reißfest und blickdicht. Die Firma Melsbach Wolf entwickelt gerade wiederverwertbare Plastiktaschen.

Auf Papier setzt „Lieber Natürlich“. Der Verbund, bei dem knapp 30 Apotheken sowie rund 40 Hersteller und Partnerunternehmen mitmachen, hat das „Tütle“ auf den Markt gebracht. Das Papier ist ungebleicht, zu 100 Prozent recycelt, CO2-neutral hergestellt und vollständig kompostierbar. Besonders nassfest, kann es zur Entsorgung von feuchtem Biomüll weiterverwendet werden. Obwohl die Herstellungskosten wesentlich höher sind als die einer normalen Papiertüte, soll der Preis mit dem einer Plastiktüte vergleichbar sein.

Auch die Politik hat die Tütenflut-Problematik aufgegriffen: In der vergangenen Woche beschloss der EU-Ministerrat, dass die EU-Staaten leichte Einwegtüten künftig besteuern oder verbieten dürfen. Die EU-Staaten wollen den Pro-Kopf-Verbrauch von derzeit etwa 200 Stück pro Jahr bis 2019 auf 90 und bis 2025 auf 45 Stück senken.

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