„Wir können nicht nur abgeben“

Übernahme: 31, naiv, aber voll motiviert

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Berlin -

Mit Anfang 30 eine Apotheke zu übernehmen – das würden viele ältere Kolleg:innen heute nicht mehr empfehlen. Marc Brauer tritt aber trotzdem unbeirrt die Nachfolge an und übernimmt die Einhorn-Apotheke von Michael Umlauf im Sinntaler Ortsteil Sterbfritz.

1331 Apotheken gibt es laut Hessischem Apothekerverband (HAV) zum Jahreswechsel noch im Bundesland, die Einhorn-Apotheke in der 2000-Seelen-Gemeinde zählt dank Brauer weiterhin dazu. Auch wenn er von Kolleg:innen bereits den Tipp bekam, die Apotheke doch lieber gleich zu schließen, geht der 31-Jährige motiviert ans Werk.

Den früheren Inhaber kennt der junge Apotheker, Brauer betreibt bereits mit seinem Vater die Löwen-Apotheke im gleichen Ort und ist auch hier aufgewachsen. Früher habe es wenig Kontakt zum Konkurrenten gegeben. „Durch die Proteste im letzten Jahr sind wir hier in der Region zusammengekommen. Wegen der Streiks und der neuen Notdienstregelung sind wir dann ins Gespräch gekommen. Der Herr Umlauf hat mich dann gefragt, ob ich nicht seine Apo übernehmen wollen würde“, erzählt Brauer.

Das Angebot nahm Brauer aber nicht sofort an, sondern musste erst einmal gründlich abwägen. Immerhin stand auch sein Vater sozusagen schon mit einem Bein im Ruhestand, demnächst hätte Brauer die väterliche Löwen-Apotheke übernehmen sollen, die sich zudem auch noch gerade in umfangreichen Umbaumaßnahmen befand.

Übernehmen und dichtmachen?

Von einigen Kollegen gab es da schon den Hinweis, doch die väterliche Apotheke zu behalten und die des ehemaligen Konkurrenten dichtzumachen. Aber so einfach ist es eben nicht. „Ich habe mich dann für die Übernahme entschieden, auch wenn es eine große Herausforderung ist.“ Also teilen sich Vater und Sohn weiterhin die Führung der Löwen-Apotheke und Brauer übernahm zum Jahreswechsel noch die 300 Meter entfernte Einhorn-Apotheke.

Der Grund: „Die Einhorn-Apotheke hat eine gute Lage an der Straße, die von meinem Vater liegt etwas abgeschieden im Wohngebiet. Wir haben hier gerade umgebaut und den Schwerpunkt Heimversorgung. Die neue Apotheke ist aber ein guter Standort – ich möchte gerne beide behalten“, so Brauer. Ob er damit bald zu den XL-Apotheken gehört, die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) abgestraft werden könnten? „Das ist ein Damoklesschwert, das über uns schwebt. Ich will das aber weiter halten können, da mache ich mir noch nicht so viele Gedanken.“

Für die Kund:innen im Ort ändere sich so erst mal nichts. „Die freuen sich, dass es weitergeht. Die Leute sind sehr treu.“ Mit der Einhorn-Apotheke könne er nun die Laufkundschaft mitnehmen, die Löwen-Apotheke kann ihren Schwerpunkt vertiefen. Die plötzliche Doppelbelastung nimmt Brauer noch mit viel Motivation hin. Er will die beiden Apotheken noch digitaler aufstellen und sich über pharmazeutische Dienstleistungen noch stärker etablieren, zum Beispiel auch über die Schulung von Pflegepersonal. „Wir können nicht nur abgeben, sondern können auch aktiv was machen für die Leute. Ich hoffe, dass das weiter ausgebaut wird.“ Schließlich brauche es auch Personal und Zeit, sich das erlauben zu können.

Wald vs. Apotheke

Mit 20 Stunden ist er noch in der Apotheke des Vaters eingeteilt, seine Woche hat derzeit gut und gerne 50 bis 60 Stunden. „Wir suchen auch noch eine Apothekerin zur Verstärkung.“ Aber es sei schwierig, auf dem Land Leute zu finden. „Mein Vater war eigentlich schon in Altersteilzeit mit seinen 65 Jahren, der muss jetzt wieder mehr machen. Da müssen wir noch eine gute Lösung finden. Ich will ihn auch nicht verheizen“, so Brauer.

Der Vater, der die Löwen-Apotheke seit 1993 betreibt, brachte den Sohn auch zum Pharmaziestudium. „Ohne meinen Vater wäre ich kein Apotheker geworden. Sonst eher Förster.“ Der Studiengang für Forstwirtschaft startete aber zum Wintersemester, da meinte Brauer Senior: „Probier doch mal ein Semester Pharmazie.“ In Marburg hat ihm das Pharmaziestudium dann so gut gefallen, dass er weitergemacht hat. Auch wenn ihn eine Anstellung am Klinikum in Fulda, wo er sein Praktikum absolvierte, auch gereizt hätte, zog er die Heimat vor. „Ich habe hier den Kontakt mit den Leuten, wohne nur drei Kilometer entfernt und kann den Leuten was Gutes tun.“

Selbst gestalten und viel Unterstützung

Mit dem früheren Inhaber hat Brauer nach wie vor ein gutes Verhältnis. Umlauf wohnt auch immer noch in dem alten Apothekengebäude aus den späten 1880er Jahren hinter dem Neubau aus den 60ern und wird für den Urlaub auch noch als Vertretung bereitstehen. Darüber freut sich der neue Inhaber, sein Vorgänger hatte nicht dieses Glück, „die war direkt weg“. So bekommt Brauer auch in alltäglichen Fragen spezifisch die Einhorn-Apotheke betreffend noch Unterstützung, auch Umlaufs Frau hilft ab und an noch im Backoffice mit.

Von all den Widrigkeiten will er sich nicht ausbremsen lassen: „Ich bin guter Dinge und nicht pessimistisch. Dann hätte ich das nicht übernehmen dürfen.“ Außerdem wollte er sich nicht dem Risiko hingeben, dass ein neuer Konkurrent in die Einhorn-Apotheke einzieht. „Ich geh das wirtschaftliche Risiko jetzt ein. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“ Der Wust an Bürokratie nerve aber schon. Aber das ist die Selbstständigkeit ihm Wert. „Ich bekomme da eine Gänsehaut, wenn ich das hier gestalten kann, wie ich das will. Natürlich immer in Absprache mit dem Team. Aber ich baue mir hier selbst was auf.“

Die Apothekeninhaberschaft sei früher ein Einzelkämpfer-Beruf gewesen, weiß Brauer von seinem Vater. „Schön, dass es da jetzt den Zusammenhalt zwischen den Apothekern gibt.“ Da telefoniert er dann auch mal drei Stunden mit einem Kollegen, der ihm via Social Media Hilfe angeboten hat. „Das ist das schöne an den aktuell schwierigen Lage. Man ist zusammengerückt.“ Trotzdem gesteht er ein: „Ich bin recht naiv an die Sache rangegangen, nicht ganz blauäugig, aber trotzdem naiv.“ Vielleicht in den aktuellen Zeiten die einzige Chance, bei einer Übernahme nicht den Kopf zu verlieren.

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