Machtlos gegen Dengue dpa, 26.09.2016 14:11 Uhr
Erst ist ein Brummen und Zischen zu hören, dann kommt der Rauch, dann ein süßlich-herbes Stechen in der Nase. Wer dieser Tage in der indischen Hauptstadt Neu Delhi lebt, hat gute Chancen, eine so genannte Vernebelung zu erleben. So nennt man es in der Landwirtschaft, wenn ganze Felder mit Insektenvernichtungsmitteln eingesprüht werden. Nur dass in der Metropole keine Felder, sondern dicht besiedelte Wohngegenden mehrere Stockwerke hoch von potenziell ungesundem Rauch überzogen werden.
Der Nebel ist ein Versuch der Behörden, einem in dieser Jahreszeit besonders hartnäckigen Feind zu Leibe zu rücken. Kurz nach der Regenzeit, die im August endet, steigt die Zahl der Moskitos in der Stadt sprunghaft an. Das ist nicht nur nervtötend, sondern sogar potenziell tödlich. Denn Neu Delhi hat trotz der beeindruckenden Wachstumsgeschichte der indischen Wirtschaft immer noch kein Mittel gegen von Mücken übertragene Tropenkrankheiten gefunden. Im Gegenteil: In den vergangenen Jahren war die Zahl der Toten durch Dengue-Fieber sogar besonders hoch.
Symptome von Dengue sind starkes Fieber und Kopfschmerzen, begleitet von starken Schmerzen in Muskeln und Gelenken. Wegen der Gelenkschmerzen wird die Krankheit auch Knochenbrecherfieber genannt. Dengue kann sogar tödlich verlaufen, weil es die Zahl der Blutplättchen deutlich senken und im schlimmsten Fall innere Blutungen und Organversagen auslösen kann.
Bis Mitte September betrug die offizielle Zahl der Dengue-Erkrankungen in Neu Delhi knapp 1400. Hinzu kommen mehr als 2600 Fälle von Chikungunya, einer ähnlich verlaufenden, jedoch meist weniger gefährlichen Fieberkrankheit, die ebenfalls von Mücken übertragen wird. Vier Menschen sind laut Stadtverwaltung bislang an den Krankheiten gestorben.
„Damit haben wir weniger Fälle als im vergangenen Jahr“, sagt A. C. Dharival, Direktor des Nationalen Kontrollprogramms für Vektorübertragene Krankheiten. Vektoren nennt man in der Medizin Organismen, die Krankheiten übertragen - also im Fall von Dengue Moskitos. Im vergangenen Jahr habe es gut 3800 Dengue-Fälle gegeben.
Allerdings gibt es massive Zweifel an den offiziellen Zahlen. Lokale Medien berichten von Dutzenden Dengue-Toten und mehreren tausend Erkrankungen. „Delhis Dengue-Bluff“ titelt etwa die Zeitung «Hindustan Times» und berichtet, selbst Einblick in mindestens 19 Sterbeurkunden gehabt zu haben, in denen Dengue-Fieber als Todesursache stand. Auch im vergangenen Jahr hatten Medien statt der offiziellen 3800 Fälle von mindestens 15.000 Erkrankungen berichtet und von mehr als 60 Toten.
Geht es nach dem „National Green Tribunal“, einem Gericht für Umweltschutzfälle in Neu Delhi, sind vor allem die Behörden der Hauptstadt dafür verantwortlich, dass das Moskitoproblem überhand nimmt. In einer Mitteilung bezeichnete es die Reaktion der Behörden auf den jüngsten Dengue- und Chikungunya-Ausbruch als „peinlich und schockierend“. Es warf der Stadtverwaltung vor, völlig unvorbereitet auf das jährlich wiederkehrende Phänomen gewesen zu sein.
Kritiker der Vernebelungen sagen, dass die Insektizide nur sehr kurz und sehr begrenzt wirken. Ein viel größeres Problem sei, dass die Moskitos sich in den Tausenden wilden Müllkippen der Stadt insbesondere nach der Regenzeit leicht vermehren könnten.
Geld, um dagegen vorzugehen, ist vorhanden: Als Teil der so genannten „Mission sauberes Indien“ der Zentralregierung wird zum Beispiel eine Art Solidaritätszuschlag auf verschiedene Steuern erhoben und für Reinigungsprojekte zur Verfügung gestellt. Laut einer aktuellen Studie des liberalen indischen Think-Tanks CCS hat Neu Delhi bisher aber nur einen winzigen Bruchteil dieses Geldes ausgegeben.
Kapil Mishra, in der Hauptstadt für Wasser zuständig, hat inzwischen in einem offenen Brief dazu aufgerufen, über Parteigrenzen hinweg den Kampf gegen die Krankheiten zu unterstützen. Dazu gehört auch die Suche nach Freiwilligen für weitere Vernebelungsaktionen. Bis Ende Oktober, wenn die Brutsaison der Moskitos vorbei ist, werden die Wohnviertel Neu Delhis also weiter unter Rauch gesetzt.