Kirschsaft und Magnesium

Trend: „Sleepy Girl“ soll beim Einschlafen helfen

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Berlin -

Es ist schon spät, aber man kann einfach nicht einschlafen. Man wälzt sich im Bett hin und her, blickt immer wieder verzweifelt auf die Uhr. Morgens quält man sich dann bleiern müde aus dem Bett. Nicht schlafen zu können, das Problem kennen viele Menschen. Kein Wunder also, dass der „Sleepy Girl Mocktail“ in den sozialen Medien zum Trend geworden ist.

In zahlreichen Videos kann man jungen Frauen im Schlaf- beziehungsweise Jogginganzug dabei zusehen, wie sie aus Sauerkirschsaft, Magnesiumpulver und wahlweise Limo oder Mineralwasser einen alkoholfreien Drink zaubern. Dieser soll den Schlaf fördern, ist schnell gemixt und wirkt deutlicher hipper als eine Tasse Kamillentee. Doch was sagt die Wissenschaft dazu? Kann so ein Mocktail wirken?

„Das ist in dem Fall nicht so einfach zu beurteilen, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Luisa Hardt vom Uniklinikum in Erlangen. „Man weiß nicht, wie viel und welcher Saft und wie viel Magnesium jeweils konkret verwendet wurden.“ Auf den ersten Blick könnten die Bestandteile jedoch durchaus sinnvoll sein, meint sie. Der Körper brauche Magnesium, um aus der Aminosäure Tryptophan das Hormon Melatonin zu bilden, das für den Schlaf-Wach-Rhythmus zuständig sei. Der Sauerkirschsaft enthalte wiederum sekundäre Pflanzenstoffe, die den Tryptophan-Abbau im Körper hemmen könnten, sodass mehr dieses Ausgangsstoffs für die Melatoninbildung zur Verfügung stehe.

„Datenlage ist dünn“

Der Ernährungsmediziner Hans Hauner von der Technischen Universität München ist trotzdem skeptisch. „Die Datenlage dazu ist sehr dünn. Das sind meistens kleine Studien mit einer ausgewählten Gruppe von Testpersonen.“ Vor allem zweifelt er daran, dass es sinnvoll ist, Magnesium zusätzlich einzunehmen. „Wir haben mit einer Durchschnittskost eigentlich keinen Magnesiummangel. Kein Mensch braucht das als Supplement, wenn er sich normal ernährt.“

Außerdem könne der Körper Magnesium besser in kleineren Mengen über den Tag verteilt aufnehmen als einmal in einer höheren Dosis, ergänzt Hardt. Nahrungsergänzungsmittel seien oft sehr hoch konzentriert und überschritten die vom Bundesinstitut für Risikobewertung empfohlene Tageshöchstmenge von 250 Milligramm. „Das kann zu Magen-Darm-Beschwerden, vor allem Durchfällen, führen – was die Nachtruhe erheblich stören kann.“

Ähnlich könnte sich der Sauerkirschsaft bei Menschen auswirken, die empfindlich auf Säure reagieren, sagt Hauner. Die sekundären Pflanzenstoffe, die den Schlaf fördern sollen, seien dagegen nur in Mikrogrammmengen enthalten. „Die Konzentration ist so gering, dass eine Wirkung nicht plausibel ist.“

„Jeder schläft mal schlecht“

Zumal der Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen von Sauerkirschsaft zu Sauerkirschsaft nach Angaben von Hardt sehr stark schwanken kann. Studien zu dessen schlaffördernder Wirkung verwendeten meist Saft der Montmorency-Sauerkirsche, einer speziellen Sorte, die besonders viele sekundäre Pflanzenstoffe und Melatonin enthalte, erläutert sie. Diese werde aber hauptsächlich in den USA und Kanada angebaut. Deshalb sei der Saft im Supermarkt hierzulande eher nicht erhältlich.

Jeder Mensch schläft mal schlecht. Aber sechs bis zehn Prozent der Menschen in Deutschland litten an einer behandlungsbedürftigen Schlafstörung, sagt Hans-Günter Weeß, Leiter des interdisziplinären Schlafzentrums des Pfalzklinikums in Klingenmünster in Rheinland-Pfalz. „Das sind mindestens fünf Millionen Menschen. Deshalb kann man von einer Volkskrankheit sprechen.“

Keinerlei Wirkung

Oft haben die Betroffenen schon viele Jahre lang Probleme, ein- und durchzuschlafen – und sind entsprechend verzweifelt. Sie seien oft sehr empfänglich für pseudo-medizinische Angebote, teure Lifestyle-Produkte, Ernährungstipps und Apps oder Smartwatches, die den Schlaf vermessen und überwachen sollen, sagt Weeß. „Damit wird man eine veritable Schlafstörung aber nicht behandeln können.“

Auch der „Sleepy Girl Mocktail“ hat seiner Ansicht nach keinerlei Wirkung – zumindest, wenn man nur die Inhaltsstoffe betrachtet. „Was wir bei Menschen mit Schlafstörungen in Studien feststellen ist, dass sie stark auf Placebos reagieren. Es könnte also sein, dass jemand eine Wirkung bei dem Drink spürt, wenn er fest daran glaubt“, erläutert Weeß.

Allein das Ritual, sich abends etwas Gutes zu tun und dabei zu entspannen, könne beim Einschlafen helfen. „So ein Getränk kann man selbst herstellen, die Bestandteile kosten nicht viel“, meint Weeß. Deshalb sei der „Sleepy Girl Mocktail“ möglicherweise zwar wirkungslos, aber auch harmlos im Gegensatz zu vielen anderen Produkten, die mit einer angeblichen schlaffördernden Wirkung werben und für die Betroffene zum Teil viel Geld ausgeben.

Alkohol stört Schlaf

„Es ist durchaus etwas, was man bei Schlafproblemen ausprobieren kann“, findet Ernährungswissenschaftlerin Hardt. Im Vergleich zu Schlaftabletten seien deutlich weniger Nebenwirkungen zu erwarten. „Der Mocktail ist allemal besser als ein Glas Wein, wenn man abends zur Ruhe kommen will“, sagt auch Hauner. “Alkohol stört den Schlaf erheblich.“

Einen Minuspunkt sieht Hardt dennoch beim „Sleepy Girl Mocktail“. „Die meisten Menschen werden eher keinen Direktsaft trinken, der sehr sauer schmeckt, sondern Sauerkirschnektar, der mitunter einen hohen Zuckerhalt aufweist.“ Abends sollte man aber auf zuckerhaltige Getränke und Speisen verzichten, weil der Körper über Nacht sonst Insulin ausschütte, was langfristig eine Gewichtszunahme begünstigen könne, betont die Expertin. Ihre Empfehlung deshalb: Besser einen Kräutertee trinken oder eine heiße Milch, der man auch entspannende, schlaffördernde Wirkung nachsagt.

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