Tierhaltung

Diazepam für Delfine

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Nürnberg -

Im Nürnberger Tiergarten läuft eine Show mit Seltenheitswert in Deutschland: Ein Pfleger gibt ein Zeichen, lockt mit Fisch – und schon setzt sich die Delfinschar in Bewegung. Wie Pfeile schießen zwei Große Tümmler mehrere Meter in die Höhe und planschen mit den Schnauzen voran ins Nass zurück. Wenig später tänzelt ein Delfin auf den Schwanzflossen gekonnt auf dem Wasser, aus der Zuschauermenge ist Johlen zu hören, vor allem von den Kleinen. Dabei sind bei den beliebten Tieren auch Medikamente im Spiel.

Als fürs Tierwohl notwendige Präsentationen bezeichnet die Zooleitung die Shows. Für Gegner der Delfinhaltung sind sie hingegen eine Tortur für die Tiere. Zu beengt seien Delfinarien, überhaupt seien die äußerst sozialen Meeressäuger nicht artgerecht zu halten, klagen Tierschützer. Befürworter der Delfinhaltung sehen in den Anlagen dagegen einen wichtigen Beitrag zu Artenschutz und Forschung.

Seit Jahren schon wogt der hochemotionale Streit, und es scheint, als bekämen die Kritiker Oberwasser. In Deutschland gibt es nach etlichen Schließungen neben der Nürnberger Anlage noch ein weiteres Delfinarium in Duisburg. Und in Frankreich wurde jüngst die Nachzucht von Delfinen und Orcas in Gefangenschaft verboten.

Der Nürnberger Tiergartenchef Dag Encke kann darüber nur den Kopf schütteln. Der Biologe hat eine Vermutung, wie es zu der Maßnahme im Nachbarland kam. Die noch im Mai als Umweltministerin amtierende Ségolène Royal habe wohl von einer Delfinschutzorganisation gehört, dass Delfine in Deutschland unter Drogen gesetzt würden und nicht anders zu halten seien.

Dabei stimme das gar nicht, betont Encke. „Tiere in den Delfinarien werden medizinisch behandelt, was völlig normal ist.“ Ihnen werde unter anderem Diazepam gegeben – das auch unter dem Namen Valium gehandelte Präparat wird als Psychopharmakon gelistet. Meist diene das Mittel der Appetitanregung. Das helfe, wenn dem Tier jeden Tag ein Medikament verabreicht werden müsse, das über den Verdauungstrakt aufgenommen wird.

Bei einer höheren Dosis würden die Tiere entspannter, bekämen die sogenannte „Rosa Brille“, sagt Encke. Das helfe, wenn sich „ein Konflikt zwischen zwei Tieren hochgepuscht“ habe. Und schließlich gebe es bei hohen Dosen die Sedierung – vor Operationen oder Transporten in andere Einrichtungen. Eine traumatische Erfahrung sei ein solcher Transport für die Tiere aber nicht, versichert Encke. „Tiere sind es ja gewohnt, in Bedrängnis zu geraten, und sobald die Bedrängnis aufhört, verhalten sie sich wieder normal.“

Für Tanja Breining von der Tierrechtsorganisation Peta ist allerdings nichts normal am Umgang mit den Delfinen. Gerade die Medikamentengabe zum sogenannten Social Calming – sinngemäß soziale Ruhigstellung – sieht die Meeresbiologin kritisch. Denn in der Natur könnten Delfine ausweichen, sich ihre Artgenossen aussuchen und seien nicht gezwungen, mit jemandem zusammenzuleben, mit dem sie nicht zurechtkämen. „Die werden quasi hier zwangsvergesellschaftet“, kritisiert Breining mit Blick auf die Nürnberger Delfinlagune.

Dabei hätten Wissenschaftler bei Delfinen ein Selbstbewusstsein nachgewiesen. Das bedeute, dass sie sich ihrer Gefangenschaft bewusst seien und besonders darunter litten, sagt Breining. Delfine in Freiheit hätten wesentlich mehr Bewegungsspielraum – sie könnten mehrere Kilometer am Tag schwimmen und tief tauchen. Vor allem kritisiert Peta die Kargheit der Becken. Im Delfinarium gebe es nur Kacheln, Beton und Eintönigkeit, in freier Wildbahn aber Sand, Felsen und andere Tiere. „Ein Leben in Freiheit ist immer besser als ein Leben in Gefangenschaft“, findet Breining. Daher begrüße sie die Entscheidung in Frankreich.

Zoodirektor Encke kennt die Argumente der Haltungsgegner – und sieht sich in einem Marathonlauf, der noch nicht entschieden sei. „Der Vorteil einer solchen Diskussion ist, dass sie uns Schub gibt in der Entwicklung.“ Der Tiergarten Nürnberg habe etwa im Sommer 2011 den Ausbau des Wassergeheges zu einer großen Delfinlagune mit mehreren Becken abgeschlossen. Das hätte sich politisch nie durchsetzen lassen, wenn es vorher den gesellschaftlichen Druck nicht gegeben hätte, meint Encke.

Den Druck erhalten Aktivisten um Tanja Breining weiter aufrecht. Die Delfin-Kampagne von Peta rufe die Zoos auf, die in Gefangenschaft gehaltenen Meeressäuger in Auffangstationen im Meer zu überführen, berichtet sie. Eine solche Auffangstation könnte es auf der griechischen Insel Lipsi geben, der dortige Bürgermeister und Stadtrat hätten bereits zugestimmt. Nötig seien auch größere Meeresschutzgebiete, in denen die Tiere artgerecht und unbehelligt von Fischerei leben könnten.

Klar ist: Die Delfinhaltung in Deutschland hat keinen einfachen Stand. Seit ihren Anfängen im Jahr 1965 gab es insgesamt zehn Delfinhaltungen, davon drei in wissenschaftlich geleiteten Zoos, wie aus Daten des Verbands der Zoologischen Gärten (VdZ) hervorgeht. Übrig geblieben sind noch zwei Delfinarien.

VdZ-Geschäftsführer Volker Homes betont dennoch: „Aus umfangreicher Forschung in den letzten Jahren ziehen die Zoologischen Gärten den Schluss, dass man die Delfine unter tiergerechten Bedingungen halten kann.“ Und die Einrichtungen passten sich an den Stand der Forschung an, sagt er: „Wenn man Bilder sieht von der Delfinhaltung in Duisburg vor 30 Jahren – mit so einem Delfinarium würde heute niemand mehr durchkommen.“

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