Immer wieder muss eine Apotheke schließen, weil der Inhaber keinen Nachfolger finden konnte. Nun steht das Lebenswerk da und wird eingestampft. Zeit für eine Revision. Was wickelt man ab und was reicht man weiter? Und an wen? Mit diesen Fragen setzt sich das Theaterstück „Die Apotheke oder Hier will ich nicht tot überm Zaun hängen“, das am kommenden Donnerstag in Stuttgart Premiere feiert.
Apothekerin Barbara S., 68 Jahre, wird ihre Apotheke schließen müssen. Sie geht in Rente, einen Nachfolger gibt es nicht. Niemand will die Apotheke kaufen und weiterführen. Wäre ihre Tochter Pharmazeutin geworden, dann hätte sie die Apotheke übernehmen können. Doch sie hat sich für die Schauspielerei entschieden. 37 Jahre hat die Apothekerin in einem Vorort einer Ruhrpottstadt um den Erhalt ihrer Apotheke, die im Laufe der Zeit zu einer sozialen Institution geworden ist, gekämpft. Aber einmal muss Schluss sein.
Also: War's das? Was war das? Was geschieht nun mit den Mitarbeitern? Was mit ihr? Wie hätte ein Leben ohne die Apotheke ausgesehen, das sie sich so oft gewünscht hat? Was wickelt man ab und was reicht man weiter? Eine Apotheke wird aufgelöst und ein Leben wird besichtigt.
Was dem einen oder anderen Apotheker nur zu bekannt vorkommt, hat sich tatsächlich so ereignet. Das Theaterstück, das am kommenden Donnerstag im Studiotheater Stuttgart uraufgeführt wird, beruht nämlich auf einer wahren Geschichte. Zusammen mit dem Regisseur und Drehbuchautor Dieter Nelle nimmt die Hauptdarstellerin und Co-Autorin Britta Scheerer sich der Lebensgeschichte ihrer Mutter und damit auch ihrer eigenen an.
Scheerer zeichnet ein trauriges Bild von dem Ort, in dem ihre Mutter seit Jahrzehnten die Apotheke betreibt. Früher seien zwar der Himmel und die Häuser „ruhrgebietsgrau“, aber es habe viele kleine Geschäfte vor Ort gegeben. Doch eins nach dem anderen habe sie fast alle zugemacht. „Die Straße ist am Aussterben“, berichtet sie. „Es gibt gefühlsmäßig nur noch Wettbuden, Nagelstudios und Kioske“. Die Bedingungen am Standort seien aber schon immer sehr hart gewesen. In dem Vorort, einer von Arbeitern und Bergarbeiter dominierten Gegend, sei die Apotheke wahrlich keine „Goldgrube“ gewesen. „Die Menschen haben schlicht kein Geld für teure Kosmetikprodukte“, so die Schauspielerin.
Was dann bleibt, ist der Kern, die wichtigste Aufgabe der Apotheker: Die Beratung der Menschen. „Mit den Jahren ist die Apotheke meiner Mutter eine soziale Anlaufstelle geworden“, erzählt sie. In den Gesprächen, die Scheerer und Nelle im Vorfeld geführt haben, erzählten einige Stammkunden, was sie an „ihrer“ Apothekerin am meisten schätzen. Wahnsinnig geduldig sei sie, immer habe sie ein offenes Ohr und die Herzlichkeit, die ermutigt, in jeder Lebenslage in die Apotheke zu kommen. Scheerer berichtet, dass einige Kunden ihrer Mutter als Zeichen ihrer Wertschätzung die Holzfigur der Heiligen Barbara, der Partronin der Bergleute, geschenkt haben. Auch für ihre Mutter sind einige Kunden mit den Jahren zu einer zweiten Familie geworden.
Als die Apothekerin, mit der Tochter an der Hand und alleinerziehend, sich den Ort vor knapp 40 Jahren anschaute, habe sie ihn furchtbar gefunden, weiß Scheerer aus den Erzählungen ihrer Mutter. „Sie wollte hier niemals alt werden“, so die Hauptdarstellerin. Es war eben ein Ort, in dem man nicht tot überm Zaun hängen möchte. Und doch ist die Pharmazeutin dort geblieben.
Ohnehin sei Pharmazie ursprünglich nicht die erste Wahl ihrer Mutter gewesen. „Eigentlich wollte sie Medizin studieren und Pharmazie als Zweitstudium dranhängen“, berichtet Scheerer. Denn aus ihrer Sicht gehören Medizin und Pharmazie zusammen. Doch weil sie schwanger wurde, habe sich ihre Mutter aus einem pragmatischen Grund für Pharmazie entschieden: Es ging schneller.
Sie selbst habe in ihrer Kindheit sehr viel Zeit in der Apotheke verbracht. „Für mich ist es ein sehr vertrauter Ort“, sagt Scheerer. „Vor allem erinnere ich mich daran, dass es dort immer sehr gut roch, aber auch an die typischen Geräusche, wie das Ziehen der Schubladen und das Knattern der Bestellkarten“. Der Beruf ihrer Mutter habe auch sie sehr stark geprägt. „Sie war immer für die Menschen da. Das ist auch für mich sehr wichtig“, berichtet die Schauspielerin.
Als Recherche für das Theaterstück sei sie zusammen mit dem Regisseur und Drehbuchautor Nelle mehrmals zu ihrer Mutter gefahren, um über deren Leben und Erfahrungen zu sprechen. Erst in diesen Gesprächen sei ihr wirklich klar geworden, was es für ihre Mutter eigentlich bedeutet, die Apotheke aufzugeben. „Vorher habe ich eher gedacht, sie soll einfach ihre wohlverdiente Rente genießen und die Zeit mit ihrem Enkel verbringen“, erinnert sich Scheerer. Die langen Abende, an denen ihre Mutter ihr Leben hat Revue passieren lassen, hätten ihre Sicht auf die Situation verändert. „Ich sah, wie schwer es für sie ist, das sie ihr Lebenswerk, in das sie so viel Herzblut und Lebensenergie gesteckt hat, an niemanden weitergeben kann“, so die Schauspielerin. So soll das Theaterstück auch eine Hommage auf ihre Mutter und deren Lebenswerk sein.
APOTHEKE ADHOC Debatte