Syrischer Apotheker: Endlich ohne Aufsicht arbeiten! Tobias Lau, 01.10.2018 07:44 Uhr
Der Fachkräftemangel bleibt ein Dauerthema in Deutschland. Vakanzen sind monatelang unbesetzt, Apotheken müssen schließen, weil sie keine Nachfolger finden. Man sollte meinen, dass neu ankommende Apotheker in Deutschland quasi von der Straße weg eingestellt werden, wenn sie auf dem Land arbeiten wollen. Georges Nehme kann ein Lied davon singen, dass dem nicht so ist. Der Pharmazeut aus Syrien hat einen langen Weg hinter sich – ist jetzt aber kurz vor dem Ziel.
Seit 2015 ist der 28-jährige Pharmazeut in Deutschland. Jung, qualifiziert und arbeitswillig gilt eigentlich als beste Kombination für eine Einstellung, doch nicht zuletzt die Mühlen der deutschen Bürokratie ziehen die Verwandlung vom Hilfeempfänger zum Steuerzahler oft in die Länge. Das ist nicht nur wirtschaftlich problematisch, sondern erzeugt oft menschliches Leid. So musste Georges zwei Jahre und acht Monate auf die Familienzusammenführung warten: Er hatte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beantragt, dass sein Vater und seine Schwester ihm nach Deutschland folgen dürfen.
Nach dem Antrag passierte jedoch erst einmal nichts, monate- und jahrelang. „Wir konnten nicht einmal in Erfahrung bringen, ob unser Antrag bearbeitet wird, wir waren hilflos. Natürlich war die Behörde auch überlastet, aber diese Ungewissheit war wirklich schlimm“, beschreibt er die schwere Zeit. Auch die Hilfe eines Bekannten bei der Caritas, der beim BAMF nachzuhaken versuchte, brachte ihn nicht weiter.
Dabei war jener Bekannte es, der ihm die entscheidende Hilfestellung für seine berufliche Laufbahn als Apotheker gegeben hat. Bis 2013 hatte George in Homs Pharmazie studiert und erfolgreich abgeschlossen. Eine Arbeit konnte er in der damals schon zu großen Teilen zerstörten Stadt jedoch nicht finden. Statt des Berufsantritts musste er das Land verlassen, ihm drohte der Einzug in die Armee des Regimes. „Als Christen waren wir gleich von mehreren Seiten bedroht, nicht nur vom Regime, sondern auch vom IS“, berichtet er. Also versuchte er zuerst, auf direktem Wege nach Deutschland zu kommen. Im Libanon stellte er einen Antrag auf ein deutsches Visum – vergeblich. Ihm blieb nur die Flucht über See, Land und Luft; erst in die Türkei, dann nach Griechenland, von dort schließlich nach Deutschland.
Hier angekommen, half er als Übersetzer, bis ihn jener Bekannte von der Caritas fragte, was er denn in Syrien gemacht habe. Er verwies ihn an Jürgen Lutsch, den Inhaber der Linda-Apotheke in Kall. „Wir führten dann ein Interview, in dem mir Herr Lutsch sagte, dass ich erst einmal Deutsch lernen muss“, erinnert er sich. Doch das war schon das nächste Hindernis: „Ich habe vier Anträge auf einen Deutschkurs gestellt, die wurden aber alle abgelehnt.“ Denn er hatte noch keinen geregelten Aufenthaltsstatus und musste noch auf seine Anhörung beim BAMF warten. Also hat er auf eigene Faust begonnen, die Sprache zu lernen. Als es endlich so weit war und er loslegen konnte, war er bereits entsprechend weit. „Innerhalb eines Jahres konnte ich dann C1 fertig machen, weil ich entsprechend höher eingestuft wurde“, erzählt er. „Ich wollte Deutsch lernen, denn ich wollte arbeiten!“
Doch Sprache und Aufenthaltstitel reichen nicht, eine Approbation muss her. Bisher arbeitet er als Apotheker unter Aufsicht, seinen syrischen Abschluss anerkennen zu lassen, ist nämlich der nächste Kraftakt. Zwar hat er aufbauende Kurse an den Universitäten in Bonn und Düsseldorf absolviert, erneut muss er aber vor allem warten, dieses mal auf die Apothekerkammer, die ihm einen Termin für das notwendige Examen gibt. Den erwartet er immerhin bis Ende des Jahres, nach bestandener Prüfung hat er es dann geschafft.
Dabei sind die Unterschiede zwischen der Apothekertätigkeit in Deutschland und Syrien Georges zufolge gar nicht so groß. „Der größte Unterschied ist noch, dass die Medikamente in Syrien nach Herstellern sortiert werden“, erklärt er. „Außerdem gibt es in Syrien keine PTA, PKA oder Pharmazieingenieure – jeder, der in der Apotheke arbeitet, ist Apotheker.“ Dann seien da noch die Krankenkassen, von denen es in Syrien viel weniger gebe, sowie die Bedarfsplanung. „In Deutschland kann ja jeder überall eine Apotheke eröffnen. In Syrien war das streng reguliert. Da darf es beispielsweise in einer Straße nur eine bestimmte Zahl an Apotheken geben.“ Bei diesen Unterschieden müsse man „zwar erstmal durchsteigen, aber das geht eigentlich ganz schnell“.
Das größte Problem sei eigentlich kein rechtliches oder pharmazeutisches, sondern der Dialekt. „Wenn jemand hereinkommt und von seinem ‚Buuch‘ erzählt, muss man erstmal wissen, dass der Bauch gemeint ist“, schmunzelt er. Aber auch das werde sich mit der Zeit erledigen.
Die Familienzusammenführung hat er unterdessen erfolgreich über die Bühne gebracht. Seit Juni sind Vater und Schwester endlich in Deutschland. „Das war natürlich sehr, sehr emotional am Flughafen.“ Wie es nun weitergeht, wissen sie noch nicht genau. Der Vater ist Ingenieur und hatte eine Firma in Aleppo, die Schwester will Psychologie studieren und paukt deshalb kräftig Deutsch. „Sie lernt noch schneller als ich. Sie ist aber auch erst 20 und hat noch so viele Träume – ich bin ja schon ein alter Sack“, sagt er lachend.
Fest steht jedenfalls: Auf absehbare Zeit werden die Nehmes in Deutschland bleiben. „Wir versuchen uns hier einzuleben. Wir können ohnehin erstmal nicht zurück, weil wir bei der Rückkehr auf jeden Fall vom Staat bestraft werden“, begründet er die Entscheidung. „Es ist hier alles gut, aber man hat natürlich immer die Sehnsucht nach dem Land, aus dem man kommt, nach der Straße, der Nachbarschaft, den Schulfreunden, den Kneipen, in die man gegangen ist – das alles gibt es aber nicht mehr, es ist alles kaputt. Dennoch müssen wir optimistisch nach vorn blicken.“