Prüfungsphase an der Hochschule, ein wichtiges Projekt auf der Arbeit, Streit mit dem Partner – und plötzlich wird gefuttert ohne Ende. Stress kann das Essverhalten beeinflussen. Schuld sind körpereigene Stresshormone. Aber wie kommt es genau dazu, und wie lässt sich das Verlangen nach Süßem stoppen?
Wer in stressigen Phasen häufiger zu Schokolade, Keksen oder Chips greift, ist damit nicht alleine. „Etwa 40 Prozent der Menschen essen durch Stress mehr, aber genauso viele verzichten in Stressphasen auch häufiger auf Essen“, sagt Dr. André Kleinridders vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung. Die restlichen 20 Prozent ändern ihr Essverhalten überhaupt nicht. Wie der Körper auf Stress reagiert, ist eben sehr individuell. Fest steht aber: Rund 11 Prozent der Bevölkerung in Deutschland leiden unter chronischem Stress. Das geht aus der Studie zur Gesundheit von Erwachsenen in Deutschland hervor. Frauen und Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status fühlen sich besonders von Stress belastet.
Stress versetzt den Körper in Alarmbereitschaft. Adrenalin, ein Stresshormon, lässt den Menschen im Moment einer akuten Gefahr jeglichen Appetit vergessen und ermöglicht, weglaufen oder kämpfen zu können. „Ein System, das in unserer Vorzeit sinnvoll und überlebenswichtig war“, sagt Kleinridders. In der auf den Stress folgenden Ruhephase versucht der Körper, zurückzuholen, was er bei einer möglichen Flucht oder einem Kampf verbraucht hat. „Daher haben wir Appetit auf besonders leicht aufschließbare Kohlenhydrate, wie beispielsweise Chips“, erklärt der Leiter der Ernährungsambulanz am Universitätsklinikum Leipzig, Dr. Lars Selig. Auch bei länger anhaltendem Stress werden vermehrt Stresshormone freigesetzt – aus der Gruppe der Glucocorticoide. Sie können das Appetitempfinden verstärken, obwohl der Körper eigentlich keine Nahrung benötigt. Denn: Der kognitive Stress von heute verbraucht weit weniger Energie als eine Flucht oder ein Kampf zu Vorzeiten. Gerade bei chronischem Stress droht daher Übergewicht.
Auch das sogenannte mesolimbische System oder Belohnungssystem beeinflusst das Essverhalten. Süßes oder Essen an sich befriedigen zwar nicht direkt das Belohnungssystem, das erledigen aber die positiven Gefühle, die mit Süßem in Verbindung gebracht werden. „Wer als Kind gelernt hat, dass Süßes zur Belohnung eingesetzt wird, der wird sich als Erwachsener auch selbst mit Süßigkeiten belohnen wollen“, erklärt Selig. Die Assoziation „Süßes ist eine Belohnung und fühlt sich gut an“ ist dann erlernt und besonders schwer abzulegen. Idealerweise bekommen Kinder also keine Schokolade, wenn sie etwas gut gemacht haben – und auch nicht als Aufmunterung, wenn sie traurig sind.
Erwachsene können versuchen, sich selbst zu schützen – indem sie zum Beispiel weniger Süßes oder Fettiges einkaufen und nichts direkt am Schreibtisch aufbewahren. „Stress erhöht nämlich die Impulsivität und vermindert die kognitive Entscheidungsfähigkeit, sodass man nur schwer gegen das innere Verlangen ankommt“, erklärt Kleinridders. Wer allerdings mit strikten Verboten gegen ständiges Naschen ankämpfen will, wird nicht erfolgreich sein. „Alles, was verboten ist, wird nur noch attraktiver“, sagt Professor Dr. Christoph Klotter, Ernährungspsychologe an der Hochschule Fulda. Und: „Wir haben eine angeborene Präferenz für Süßes.“ Der süße Geschmack kennzeichnet ungefährliche Lebensmittel, und Süßes enthält meist viele Kalorien. „Beides war zu unseren Vorzeiten überlebenswichtig.“
Und wie schlimm ist es nun, sich in stressigen Zeiten mit einer Tafel Schokolade zu beruhigen? Ist das nur kurzfristig der Fall, sieht Klotter kein großes Problem: „Wenn Studenten beispielsweise in der Prüfungsphase vermehrt zu Süßem greifen, ist das völlig in Ordnung.“ Wenn Essen jedoch zum dauerhaften Manager von unangenehmen Gefühlen werde, könne dies verheerend enden. „Im schlimmsten Fall entwickeln sich daraus richtige Ess-Attacken, nach denen man dann ein noch schlechteres Gewissen hat.“
Wie lässt sich also Stress-Essen langfristig vermeiden? „Der erste Schritt ist, bewusst wahrzunehmen, dass man Stress hat, und herauszufinden, welche Situationen diesen Stress auslösen“, meint Selig. Der zweite Schritt sei, zu überlegen, wie man Stress bewältigen könne, ohne gleich zur Schokolade zu greifen. Manch einem hilft es vielleicht, abends ein paar Entspannungsübungen oder autogenes Training zu versuchen, statt sich über Süßigkeiten herzumachen – einerseits, um sich abzulenken, andererseits, um generell stressresistenter zu werden. „Wer dauerhaft Stress ausgesetzt ist, der sollte auch versuchen, aktiv etwas gegen die Ursache zu tun“, meint Klotter. Möglicherweise ändert schon ein klärendes Gespräch mit dem Chef oder den Kollegen die Ausgangssituation. Und zu guter Letzt braucht es alternative Belohnungen: „Jeder muss für sich selbst überlegen: Was erheitert meine Stimmung?“, sagt Selig. Für den einen könnten das ein paar Blumen sein, für jemand anderen ein angenehmes Gespräch mit Freunden und für einen Dritten vielleicht ein Spaziergang im Park.
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