Streikt ganz Stuttgart? Julia Germersdorf, 31.05.2023 13:14 Uhr
In Baden-Württembergs Hauptstadt ist man sich weitgehend einig: „Wir sind am 14. Juni dabei“. Die Beteiligung der protestierenden Pharmazeut:innen finde einen enormen Widerhall. Julia Graser und Christoph Gulde agieren als Beiräte des Landesapothekerverbands (LAV) für Stuttgart und sind positiv beeindruckt von dem Zusammenhalt der Apothekerschaft ihrer Region.
„Wir haben natürlich ein großes Interesse daran, dass sich möglichst viele, bestenfalls alle Kolleg:innen, am Protesttag beteiligen“, so Julia Graser, Inhaberin der Schwanen-Apotheke in Stuttgart. Man habe sehr viele Apotheken kontaktiert, nicht nur im eigenen Stadtteil, sondern auch überregional im Stuttgarter Raum, um zur Streikbereitschaft zu ermutigen.
Viel Überredungskunst sei allerdings nicht nötig gewesen. Schnell habe es aus sämtlichen Richtungen getönt, man sei definitiv und selbstverständlich dabei. „Die Beteiligung ist extrem hoch, fast schon überraschend hoch“, freut sich die Apothekerin. „Ich bin wirklich sehr positiv gestimmt. Ganze Stadtteile machen geschlossen mit. Selbst in der Stadtmitte beteiligen sich sehr viele Kolleg:innen – da sind wir besonders stolz drauf.“
„Die Zustimmung ist absolut eindeutig und geht über Stuttgart hinaus bis nach Marbach und Ludwigsburg. Das ist wirklich einmalig“, sagt auch Christoph Gulde, Inhaber der Solitude-Apotheke.
Protestvorhaben
Man werde sich dezentral in Kitteln und mit Schildern in einzelnen Stadtteilen aufteilen. Genaueres sei noch in der Planung. Mehrere Apotheken haben Anzeigen in den lokalen Zeitungen geschaltet oder tun es noch. Viele machen in ihren Schaufenstern auf den Protesttag aufmerksam. Man informiere somit vorab die Patient:innen.
„Was nicht passieren wird, ist, dass die Mitarbeiter:innen vor ihrer eigenen Apotheke stehen. Wir erachten das aus verschiedenen Gründen nicht für sinnvoll“, so Graser. Es sei schlichtweg nicht machbar, vor der Ware zu stehen und diese dann nicht herauszugeben. Die Versorgung laufe gesichert über die Notdienstapotheken. „Wir hoffen natürlich, dass die Patient:innen das dann im Hinterkopf haben, aber wir gehen davon aus. Es wird ja entsprechend kommuniziert.“
Kein Respekt von der Politik
Die Apothekerin habe während der vielen Telefonate mit ihren Kolleg:innen mitbekommen, dass viele wirklich müde sind. „Wie leer die Akkus tatsächlich sind und wie groß der Frust. Und vor allem, wie stark die Bereitschaft schrumpft, weiterzumachen.“ Das habe sie sehr nachdenklich gestimmt. Es gehe wirklich darum, ob die Apotheken die Situation noch lange so tragen können und wollen. Man bewege sich am Rande des Wirtschaftlichen. „Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist leider zum Teil leider noch verzerrt. Das tut weh, so wenig wertgeschätzt zu werden.“
Ebenfalls sei die Respektlosigkeit der Politik enorm spürbar. „Das ist die Triebfeder zum Protest“, meint Gulde. „Der gesamte Berufsstand kommt sich respektlos behandelt vor.“
Von sogenannten Streikbrecher hält Graser nichts. „Ich muss leider sagen, dass ich das unkollegial finde. Sie mögen sich dann bitte auch nicht weiter über die Situation beschweren.“ Zum Glück seien das in Stuttgart erstaunlich wenige. „Und von ihnen lassen sich bestimmt am Ende auch noch die meisten überzeugen, wenn sie merken, die anderen machen ebenfalls mit“, ist sie sich sicher.
Nicht zweifeln, sondern Chance nutzen
Wer partout, zum Wohle der Patient:innen sozusagen, die Türen offen halten möchte, müsse bald einsehen, dass wenn jetzt nichts passiert, diese vor dauerhaft geschlossenen Apotheken stehen werden – nicht nur an diesem einen Tag.
Christoph Gulde empfiehlt den Zweiflern folgende Überlegung: „Nur wenn ihr meint, dass ihr genug Honorar habt, dass ihr gern präqualifiziert seid und Retaxationen liebt, dann lasst halt auf. Und wer sich den einen geschlossenen Tag finanziell nicht leisten kann, sollte sich vielleicht fragen, ob das Geschäftsmodell überhaupt stimmt.“ Er würde seinen Mitarbeiter:innen gern angemessene Gehälter zahlen können. „Dafür brauchen wir viel mehr Honorar.“