Gedenksteine

Stolperstein für jüdischen Apotheker

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Berlin -

Mit 59 Jahren mag sich so mancher Apotheker mit ersten Gedanken an den Ruhestand tragen. Nicht so Adolf Mockrauer, er erfüllte sich seinen Lebenstraum von der ersten eigenen Apotheke. Die Nazis setzten seinem Wirken mit den Novemberprogromen ein Ende. Ein neuer Stolperstein erinnert in Berlin an den jüdischen Pharmazeuten.

Kleine goldfarbene Messingplatten erinnern überall in Deutschland an zwischen 1933 und 1945 als Folge der Nazi-Verfolgung zu Tode gekommene jüdische Mitbürger oder Regimegegner. 16 der vom Künstler Gunter Demnig geschaffenen „Stolpersteine“ wurden in der Nacht zum 6. November 2017 von mutmaßlichen Rechtsextremen aus dem Neuköllner Pflaster gerissen. „Da kam breite Empörung auf“, erinnert sich Jürgen Schulte von „Hufeisern gegen Rechts“. Die Anwohnerinitiative hatte sich 2013 als Reaktion auf rechte Anschläge in der Britzer Hufeisen-Siedlung gegründet. Auch diesmal organisierten die 20 Aktiven den Widerstand: „Wir wollten zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen. Eine ganze Reihe von Leuten nahm Geld in die Hand, um nicht nur die alten Steine zu ersetzen, sondern noch weitere hinzuzufügen. 17.000 Euro kamen schnell zusammen.“

Der erste neue Stein wurde Adolf Mockrauer gewidmet. Der Apotheker hatte bereits 2013 in einer Ausstellung des Museums Neukölln über in der Siedlung lebenden Nazi-Opfer einen Platz gefunden. „Zu jedem Stolperstein, den wir neu verlegen, erstellen wir eine eigene Broschüre“, erklärt Schulte. „Wir haben eine kleine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen und uns auf die Suche nach Spuren gemacht.“ Der Zufall sei ihnen dabei zu Hilfe gekommen: „Sein Bruder Walter hatte nach 1945 versucht, ein Entschädigungsverfahren in Gang zu setzen. Im Landesarchiv gab es drei dicke Akten, die eine Unmenge Material zu Leben und Schicksal des Apothekers enthielten.“

Laut der Recherchen kam Mockrauer am 11. Dezember 1868 in Tost (heute Toszek in Polen) zur Welt. Kurz vor seinem 60. Geburtstag, am 10. November 1928, eröffnete er die Albrecht-Dürer-Apotheke in der frisch fertiggestellten Hufeisensiedlung. Insgesamt verfügte sie über eine Grundfläche von 100 Quadratmetern auf zwei Etagen. „Er muss mit Leib und Seele Apotheker gewesen sein“, fand Schulte heraus. „Ein Großteil der von ihm angebotenen pharmazeutischen Produkte stellte der Apotheker selbst her, teilweise auf die Wünsche seiner Kunden ausgerichtet.“

Laut Industrie- und Handelskammer Berlin mauserte sich Mockrauers Betrieb binnen eines Jahres zu einer der umsatzstärksten Apotheken Neuköllns. „Manchmal war der Verkaufsraum rappelvoll“, erinnerte sich ein Zeitzeuge. „Vor allem die Frauen aus der Siedlung liebten seine freundliche und tatsächlich hilfreiche Beratung. Er war aber auch ein erstklassiger Apotheker, einer, der nicht nur redete, sondern auch über große Fachkenntnisse verfügte.“

Nach Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 konnte der nicht religiös praktizierende Jude eine Weile unbehelligt weiterarbeiten. Doch am 31. Dezember 1935 überreichte ihm ein Mitarbeiter der Wohnungsbaugesellschaft völlig überraschend die Kündigung der Wohn- und Geschäftsräume. Über 50 Prozent der örtlichen Bevölkerung hätten sein Verschwinden gefordert, so die Begründung. Einen Nachweis dafür lieferte der Angestellte freilich nicht.

Verzweifelt versuchte Mockrauer sein Lebenswerk zu schützen. Er erklärte sich in einem Schreiben an Bürgermeister, Polizeipräsident und Medizinalverwaltung bereit, seinen Betrieb an einen „arischen“ Apotheker zu verpachten. Das NSDAP-Mitglied Johannes Büker übernahm offiziell am 28. Februar 1936. Mockrauer blieb Geschäftsführer. Doch die Luft für ihn wurde immer dünner: „In den Akten des Landesarchivs ist minutiös dokumentiert, wie Mockrauer von 1937 bis zu seiner Flucht 1940 systematisch entwürdigt und ausgeplündert wurde“, berichtet Hobbyhistoriker Schulte.

In der Reichsprogromnacht auf den 10. November 1938 wurden fast alle jüdische Synagogen, Einrichtungen und Geschäfte systematisch zerstört, darunter die Albrecht-Dürer-Apotheke. „Diese Apotheke war völlig zerstört, die Scheiben eingeschlagen, alle Regale zerhackt, alle Medikamente zertreten, überall lagen Glassplitter von den Röhrchen“, erinnerte sich später der damals zehnjährige Hans Peter Herz. „Mockrauer stand hilflos zwischen den Trümmern seiner Apotheke. Er sah fürchterlich aus, das Gesicht war von Schlägen entstellt, ihm fehlten mehrere Zähne.“ Nachbarn aus der Laubenkolonie hätten ihm geholfen, so gut es ging, aufzuräumen.

Die Reparaturkosten für die Apotheke in Höhe von 8100 Reichsmark musste er selbst tragen. Dazu kam eine „Judenvermögensabgabe“ auf das Restvermögen. Damit sollten die Kosten für die bei der Progromnacht entstandenen Schäden gedeckt werden. Für Mockrauer wurde eine Forderung von 15.625,55 Reichsmark errechnet. Immer neue Gebühren und Zwangsabgaben ließen sein verfügbares Vermögen immer weiter zusammenschmelzen.

Mockrauer erkannte, dass er in Deutschland keine Zukunft mehr hatte. Bei der Wahl seines Exils blieb ihm keine große Auswahl: Chile gehörte zu den wenigen Staaten, die Juden damals überhaupt noch ohne Auflagen aufnehmen wollten. „Der einstmals gut situierte Apotheker musste mausearm auf dem Dampfer fliehen“, berichtet Schulte. Im Land lebte bereits sein Bruder mit seiner Frau. Bei ihnen in Quilpué konnte er unterkommen. „Aber in Chile hat er nie Fuß fassen können, denn seine deutsche Approbation wurde nicht anerkannt“, so Schulte. „Wegen seines Alters und mangelnder Sprachkenntnisse fühlte er sich nicht mehr in der Lage, die nötige neue Prüfung abzulegen.“

Auf einen anderen Beruf umzusatteln, schien ihm mit seinen mittlerweile 71 Jahren undenkbar. Sozial blieb er in der neuen Heimat isoliert, denn in der starken deutschen Kolonie machten Nationalsozialisten und Antisemiten gegen die Flüchtlinge Front.

Das Schicksal des Apothekers besiegelte das Finanzamt Neukölln-Süd. Am 1. April 1940 pfändete es sein Restvermögen. Am 16. September nahm sich Adolf Mockrauer das Leben. „Was ihn letztlich in den Tod trieb, wissen wir im Einzelnen nicht“, sagt Schulte. Bruder Walter habe vermutet, dass er seiner Familie nicht mehr zur Last habe fallen wollen und für sich keine Chance auf eine erträgliche Zukunft mehr gesehen habe.

Die Albrecht-Dürer-Apotheke überlebte ihren Gründer noch um 62 Jahre. Büker musste die Geschäfte zum 31. März 1941 nach Ablauf seines Pachtvertrags an Dr. Friedrich Weber abgeben. Das NSDAP-Mitglied Weber amtierte damals als Geschäftsführer der Apothekerkammer Berlin-Brandenburg und des Bezirks Berlin-Brandenburg der Deutschen Apothekerschaft. Erst zum 30. Juni 1966 gab er die Apotheke aus Altersgründen weiter. Im Jahre 2002 wurde sie endgültig geschlossen.

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