Störche auf dem Apothekenschornstein APOTHEKE ADHOC, 12.07.2018 09:07 Uhr
In jedem Sommer freut sich die Adler-Apotheke im sachsen-anhaltinischen Wolmirstedt über tierischen Besuch. Schon seit vielen Jahren lassen sich die Störche auf dem Schornstein nieder. Der ehemalige Besitzer Konrad Riedel beobachtet die Gäste auch in dieser Saison ganz genau.
Schon 1705 eröffnete die heutige die Adler-Apotheke ihre Tore. Zu DDR-Zeiten gehörte sie zum Pharmazeutischen Zentrum Magdeburg. Die erste Storchenbrut datiert Riedel auf das Jahr 1972. Er übernahm die Apothekengeschäfte 1991 nach der Vereinigung. Zwei Jahre später wurde der Gebäudekomplex umfassend saniert. „Dabei haben wir den Schornstein auf dem Dach um einen Meter verkürzt“, erzählt er. „Naturschutzmitarbeiter haben das achteinhalb Zentner schwere Nest mit großem Aufwand auf die Erde geholt, um die Hälfte gekürzt und dann wieder aufgesetzt.“ Die Störche seien zu dieser Zeit gerade im afrikanischen Winterquartier gewesen. Bereits im Frühjahr darauf hätte sich das nächste Paar in der neuen Residenz niederlassen können, so Riedel.
In der Regel kommen die Störche laut Riedel immer in den letzten Märztagen. Manchmal sichere sich ein Paar aus dem Vorjahr rechtzeitig das Sommerquartier. Wenn nicht, dann komme zuerst ein Männchen und bereite das Nest vor. Die später eintreffenden Weibchen suchten sich das beste Nest aus und damit auch den Partner für die Paarungszeit. Mitunter komme es zu heftigen Kämpfen. „Das merken wir an dem Blut auf dem Gehweg.“ In den meisten Jahren gebe es zwei Jungtiere, einmal auch vier. Die Jungen schlüpften meist im Juni, zur Sommersonnenwende könnten sie bereits im Nest stehen. Dann beginnen die ersten Flugversuche im Nest: „Sie wedeln mit den Flügeln und lassen sich wie ein Hubschrauber hoch und runter“, erzählt Riedel. Erst in den zwei Wochen vor dem Abflug lernten die Jungtiere richtig fliegen und verließen das Nest. In dieser Zeit lernen sie auch erst, wie sie sich selbst Futter suchen könnten.
Doch die Aufzucht verlaufe nicht immer reibungslos, hat der Apotheker beobachtet. Unschön werde es, wenn die Storcheneltern den Nachwuchs nicht versorgen könnten. „Das passiert vor allem in besonders heißen Sommern. Im Juni ist der Nachwuchs so groß wie Hühner. Die Eltern werfen dann ein, manchmal auch zwei Tiere aus dem Nest.“ Auch Raubzüge kämen immer wieder vor. „Dabei landen Eier auf der Straße.“
Im Juni rückt den Tieren auch der Weißstorchbeauftragter des Jerichower Lands auf die Pelle. Peter Gottschalk nimmt jedes der drei Jungen aus dem Nest und verpasst ihm einen Ring. Die Mutter kreist derweil über dem Nest. „Die Kleinen haben das gar nicht gern, sie lassen ihre Flügel hängen und stellen sich tot“, hat Riedel beobachtet. Doch für die Forschung lohne sich die Mühe: Dank der Ringe könnten die Experten verfolgen, wo sich die Störche später niederlassen. In all den Jahren hat Riedel schon viel Freud und Leid beobachten können. „Einmal hatten wir zwei gleichgeschlechtliche Störche im Nest, die bekamen natürlich keine Jungen.“ Bei einer stürmischen Wetterlage mit Starkregen sei den Eltern in einem anderen Jahr gar keine Zeit geblieben. „Die Jungen ersoffen im Nest.“
Um die Störche besser beobachten zu können, installierte Riedel vor 13 Jahren eine Stange mit einer Kamera auf dem Nachbarschornstein. Sie übertrug ein Live-Bild auf zwei Bildschirme, einer hängt in der Apotheke, ein anderer in der Arztpraxis. Das habe dazu geführt, dass die Patienten deutlich weniger dagegen hätten, einen Moment länger zu warten, erzählt Riedel. Die Kamera erfasste die Jungtiere, sobald sie über den Nestrand schauen konnten. „Nur leider haben sich die Störche auf die Kamera gesetzt, sodass sie nach vorne abgeknickt ist. Derzeit sehe ich nur den Schornstein...“ Auch ohne Bild seien die Tiere deutlich wahrnehmbar. „Das Geklapper hört man bis in die Apothekenräume.“
Meist in der letzten Augustwoche verlassen die Jungen das Nest und ziehen nach Süden, die Eltern folgen ihnen etwas später. Bis sie geschlechtsreif sind, bleiben die Jungtiere in den Winterquartieren in Afrika. Dann kehren sie zurück und beginnen mit der Suche nach einem eigenen Nest. Riedel hat die Apotheke schon 2007 an seinen Sohn Mathias abgegeben, ist aber der „Storchenbeauftragte“ geblieben. Auch im nächsten Frühjahr wird der Senior das neue Paar erwarten.