BGH sieht Scheingeschäft

Steuerschulden: Arztpraxis als „Verein“ betrieben Patrick Hollstein, 08.11.2024 08:06 Uhr

Der BGH musste sich mit einem Arzt befassen, der auf der Flucht vor dem Fiskus seine Praxis in einen Verein überführt hatte. Foto: Arno Kohlem
Berlin - 

Weil er Steuerschulden hatte, überführte ein Laborarzt aus Baden-Württemberg alle Vermögenswerte seiner Praxis in einen Verein. Ein reines Scheingeschäft, befand der Bundesgerichtshof (BGH) – und sprach den Mediziner vom Vorwurf des Abrechnungsbetrugs frei. Wegen Steuerhinterziehung wurde er trotzdem verurteilt.

Seit 2004 hatte der Laborarzt bereits Ärger mit dem Finanzamt, mehrfach war erfolglos versucht worden, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn durchzusetzen. Um seinen Betrieb endgültig dem Zugriff der Finanzbehörden zu entziehen, gründete er im Jahr 2007 einen Verein und vermachte diesem per Schenkung sämtliche Geräte und Einrichtungen des von ihm betriebenen medizinischen Labors.

In einem „Geschäfts-Kooperationsvertrag“ wurde geregelt, dass der Verein für alle in der Praxis anfallenden Einnahmen und Ausgaben verantwortlich sein und in alle bestehenden Rechte und Pflichten außerhalb der ärztlichen Tätigkeit eintreten sollte. Konkret stand im Vertrag, dass der Verein den allgemeinen Betrieb der Praxis garantieren müsse, indem er „insbesondere für die Bereitstellung der erforderlichen Reagenzien in ausreichender Menge sorgt und dass entsprechend den Erfordernissen die Geräteausstattung gestaltet und erhalten wird“.

Abtretung an Angestellte

Sämtliche Honoraransprüche gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) trat der Mediziner wiederum schenkweise an eine Mitarbeiterin ab, die auch zur Präsidentin des Vereins ernannt wurde. Die Biologin übernahm in der Praxis administrative, buchhalterische sowie nicht-medizinische biologische Tätigkeiten und war die einzige Angestellte, die über einen längeren Zeitraum hinweg für den Arzt arbeitete und mit der ihn ein Vertrauensverhältnis verband.

Er selbst wurde, so wie eine Handvoll entferntere Bekannte, Mitglied des Vereins. Beiträge wurden allerdings nie gezahlt, auch Mitgliederversammlungen fanden nie statt. Auch die vereinbarte monatliche Aufwandsentschädigung von gerade einmal 900 Euro ärztliche Tätigkeit wurde offenbar nie geleistet.

Laut Anklage ging es dem Arzt bei der Gründung des Vereins zu keinem Zeitpunkt darum, die Entscheidungsgewalt und wirtschaftliche Macht abzugeben. Sein Ziel habe allein darin bestanden, die Leitung der Praxis „auf dem Papier“ an den Verein abzugeben, um die dort vereinnahmten Gelder der Besteuerung und dem drohenden Vollstreckungszugriff der Finanzbehörden zu entziehen.

Von Anfang an habe er vorgehabt, weiterhin alleine sowohl die medizinischen als auch nichtmedizinischen Entscheidungen zu treffen. An den Abläufen in der Praxis änderte sich daher nach der Eintragung des Vereins nichts. Selbst die Bankverbindung, an die die KV die Gelder überweisen musste, blieb dieselbe. Auf das Konto hatte der Arzt direkten Zugriff; seiner Komplizin erlaubte er, private Ausgaben ohne Rücksprache ebenfalls über das Konto zu tätigen. Der Verein hatte keinen Zugriff.

Noch Arzt „in freier Praxis“?

Laut Anklage war ihm daher bewusst, dass er infolge dieser vertraglichen Gestaltung weder ein wirtschaftliches Risiko getragen noch über die räumlichen und sachlichen Mittel seiner Praxis habe disponieren können, sodass er nicht mehr als Arzt „in freier Praxis“ tätig gewesen sei. Entsprechend war er nach Ansicht der Staatsanwaltschaft auch nicht mehr berechtigt, vertragsärztliche Leistungen gegenüber der KV abzurechnen. Dennoch habe über neun Quartale hinweg mit einer von ihm unterzeichneten Sammelerklärung ärztliche Leistungen abgerechnet und damit die ordnungsgemäße Erbringung der Leistungen erklärt. Insgesamt habe er so mehr als 1,4 Millionen Euro zu Unrecht kassiert.

Das Landgericht Stuttgart (LG) sprach ihn jedoch im vergangenen Jahr vom Betrugsvorwurf frei. Denn tatsächlich sei er zur zur Erbringung und Abrechnung der Leistungen nach sozialrechtlichen Gesichtspunkten als Vertragsarzt „in freier Praxis“ berechtigt gewesen; die von ihm geschaffene „Papierlage“ habe daran als bloße Scheingestaltung nichts geändert. Es habe auch keine Täuschungshandlungen gegenüber der KV gegeben.

Der BGH sah darin keinen Fehler: Kennzeichnend für berufliche und persönliche Handlungsfreiheit sei es, dass der Vertragsarzt sein Personal selbst auswähle, das Hilfspersonal seinem Direktionsrecht unterliege und ihm die Praxis mit den dort vorhandenen medizinischen Geräten grundsätzlich jederzeit persönlich zur Verfügung stehe. „Hingegen sind die Eigentumsverhältnisse an den Praxisräumen und der Geräte- und Materialausstattung für die rechtliche Bewertung grundsätzlich unerheblich; wesentlich ist vielmehr, dass der Arzt in der Praxis seine ärztliche Berufstätigkeit in voller eigener Verantwortung ausführen kann.“

Alles nur zum Schein

Zwar könnten in diesem Zusammenhang auch Vereinbarungen, die der Arzt bezogen auf die Arztpraxis getroffen habe, von Bedeutung sein – allerdings nur dann, wenn sie rechtswirksam begründet worden seien. Hier aber habe das LG sowohl die Errichtung des Vereins wie auch den „Geschäfts-Kooperationsvertrag" zu Recht als „rechtswirkungslose Scheingeschäfte“ bewertet.

Anders sähe die Sache aus, wenn es den Beteiligten mit der Ausgliederung des Praxisbetriebs in einen Verein ernst gewesen wäre: „Handelte es sich hierbei um eine rechtswirksame Gestaltung, läge eine Tätigkeit des Angeklagten ‚in freier Praxis‘ nach den dargelegten Maßstäben fern.“ Tatsächlich wurden bei Strohmannverträgen oder anderen illegalen Konstrukten in der Vergangenheit stets sämtliche Abrechnungen für unrechtmäßig erklärt.

Der Arzt selbst wurde übrigens wegen Steuerhinterziehung verurteilt – zu neun Monaten auf Bewährung.