Besuch bei Apotheker Rokitta

Spiegel: „Die Leiden der Apotheker“

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Berlin -

Seit Jahren steht der „Spiegel“ den Apotheken eher kritisch gegenüber, doch heute erschien ein Beitrag, der das Bild gerade rücken soll. Apotheker gelten immer noch als die Großverdiener des Gesundheitssystems, so der Einstieg. Doch ein Besuch beim Bündener Apotheker Reinhard Rokitta zeigt, dass dieses Bild weder stimmt, noch das Geld mit einer Apotheke leicht verdient ist. Die Reportage weist vielmehr auf die vielen Fallstricke rund um E-Rezept, Lieferengpässe und Bürokratie hin.

Kleine Apotheken in kleineren Städten und Gemeinden kämen oft kaum noch über die Runden, so der Bericht. Hinzu komme nun auch noch das E-Rezept. Besucht wird Rokitta in seiner Punkt-Apotheke in der 50.000-Einwohner-Stadt Bünde in Westfalen. „Will man verstehen, wie es in Apotheken derzeit wirklich läuft, muss man wohl in solche Orte fahren“, so der „Spiegel“. Hier laufe der Hase anders als in Großstädten. Der Inhaber selbst ist 73 Jahre alt, 46 davon ist er schon Pharmazeut.

In seiner Apotheke mitten in der Fußgängerzone zähle der direkte Kontakt, was hier laufe, seien die Umschau, Gelenksalbe und Kassenrezepte, nicht teure Kosmetik oder Homöpathika. Rokittas Schwerpunkt ist der persönliche Kontakt zur Kundschaft. Das zeigt sich auch bei den vom Autor beschriebenen Gesprächen mit den Kund:innen der Apotheke.

Die Hürden des E-Rezepts

Viele ältere Patient:innen kommen zu Rokitta, zeigt der Bericht. Auch wenn sich für die mit einem ausgedruckten E-Rezept meist nicht viel geändert hat, so dauere doch die Bearbeitung in vielen Fällen länger. „Wir brauchen im Schnitt doppelt so lang wie vorher“, so der Inhaber. Das beeinträchtige auch die Stimmung im Team. Die Holperstellen: eine fehlende Berufsbezeichnung, fehlende Signatur und mehr. Rokitta nennt zudem den Referenzvalidator als besonderes Ärgernis. Statt wie versprochen, ein erstelltes Rezept gemäß der Vorschriften zu prüfen, gebe es nach wie vor Formfehler. „Das ist besonders absurd. Fehlerhafte Rezepte werden trotzdem durchgelassen. Wofür gibt es den dann?“, fragt Rokitta.

Lieferengpässe, Hochpreiser, Retax

Weitere Praxisfälle werden beschrieben, Austausch wegen Lieferengpass – „wir müssen versorgen, das ist dringend“ – sowie Hochpreiser. „Das Rezept wird in der Apotheke wie ein rohes Ei behandelt. Macht er [Rokitta] jetzt einen Fehler, droht die Retaxierung.“ Trotz des hohen Preises bekomme der Inhaber nämlich nur 6,67 Euro Festzuschlag, drei Prozent des Preises als Handlinggebühr, „aus der etwa das Medikament vorfinanziert werden muss“. Dass sich hierbei der Apotheker nicht gerade eine goldene Nase verdient, wird den Leser:innen deutlich.

Zudem geht der „Spiegel“ auf den Ärger mit den Krankenkassen ein: Der Inhaber habe im Backoffice noch einen Brief der Barmer zu liegen, es gehe um Inkontinenzartikel, die er auf Rezept abgegeben habe. Leider könne die Kasse die Kosten „‚aus folgendem Grund‘ nicht übernehmen, heißt es darin. Die Zeile dahinter ist leer.“ Für den Inhaber ein Beweis dafür, „wie skurril es zugehe im Gesundheitssystem“.

„Nichts, was wirklich Geld bringt“

Hinzukomme der überbordende bürokratische Aufwand. „Es geht zu wie hinter dem Serviceschalter eines Bürgeramts: Vorschriften, Formblätter, aufgeklebte Hinweiszettel zu aktuellen Regelungen“, so der „Spiegel“. Auch die Kommunikation mit den Praxen zum Wohle der Patient:innen lohne sich für die Apotheken kaum. Rokitta beschreibt einen Fall, bei dem er in der Praxis-Warteschleife 20 Minuten wartete – ein Aufwand, der ihm mit 60 Cent zusätzlich vergütet würde. „Eine Beleidigung“, so Rokitta.

Der Bericht geht auf die Eigenheiten einer eher ländlich versorgenden Apotheke ein, die Kundschaft ist zumeist über 60 Jahre alt, viele kennt der Inhaber beim Namen. Der Inhaber engagiere sich zudem zusätzlich im Ort, was ihm bereits mehrfach Ärger einbrachte, und auch berufspolitisch. „Man kann sagen, dass Rokitta nichts macht, was wirklich Geld bringt“, schreibt der „Spiegel“.

Rokitta ärgere sich über das öffentliche Bild, dass alle Apotheker Porsche fahren würden. Den durchschnittlichen Überschuss von 163.000 Euro vor Steuern, den die Bilanz von 2022 ausweist, gelte nun mal bei Weitem nicht für die Mehrzahl der Apotheken, sondern eher für die mit mehreren Filialen, Zytostatika-Herstellung oder in perfekten Lagen. In statistischen Durchschnittsbetrachtungen fielen Apotheken wie Rokittas hinten runter. Mehr Gehalt, wie es sich der Inhaber für sein Team wünscht, sei nicht machbar: „Eine pharmazeutisch-technische Assistentin geht mit 1600 Euro netto nach Hause. Das ist doch nichts, wenn man tagein, tagaus sich den Stress antut.“ Laut Abda würde „die erklärungsbedürftige Einführung des E-Rezeptes“ die Gesellschaft ohne die Expertise der Apothekenteams überfordern. „Doch auch die Apotheken selbst sind offenbar durch das elektronische Rezept überfordert“, so der Bericht.

Aufhören noch kein Thema

Rokitta kennt den Spiegel-Autor persönlich, fühlt sich gut verstanden. Als es um einen Erfahrungsbericht zum E-Rezept ging, kam der Journalist auf ihn zu und kam aus Hamburg nach Ostwestfalen. Zwar sei nicht alles schlecht am E-Rezept, setzt Rokitta dem Bericht hinzu, aber: „Selbst wenn ein Rezept ohne Beanstandung durchgeht, bleibt trotzdem das ungute Bauchgefühl“ – wegen möglicher Retaxationen. Bisher haben die Kassen zwar nur geringfügige Beträge moniert, aber noch habe er eben auch noch keine für ein E-Rezept bekommen.

„Es holpert doch noch bei vielen Dingen, wie dem Referenzvalidator“, so Rokitta. Der Spiegel-Autor habe das ja auch beschrieben: „Da ist alles rot hinterlegt, aber ich kann nichts ändern. Und der Patient muss versorgt werden.“ Er könne sich nicht leisten, Patient:innen im Zweifelsfall wegzuschicken – weder moralisch noch finanziell.

Rokitta gilt schon seitdem er 65 Jahre alt ist beim Versorgungswerk offiziell als Rentner. Trotzdem hält er noch an seiner Apotheke fest. „Da gibt es mehrere Aspekte: Zum einen will ich noch in der Freien Apothekerschaft weitermachen. Außerdem ist meine Apotheke zu klein, um sie zu verkaufen. Ich kann sie auch nicht einfach verschenken. Das ist meine Immobilie hier in der Passage.“ Früher sei die Apotheke ein Zusatz zur Rente gewesen, heute ist er eher froh, dass er sein Team weiter bezahlen könne. Trotz Selbstausbeutung bringe der Beruf aber nach wie vor Spaß mit sich und es gebe immer noch genug zu tun.

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