Alternativ-Medizin

Sonnenherz: Glaube statt Pharmakologie Tobias Lau, 12.06.2018 13:37 Uhr

Berlin - 

Chemtrails-Globuli, Erzengel-Essenzen und energetisierte Yin&Yang-Öle: Wem Homöopathie suspekt ist, der schüttelt bei den Produkten von Sonnenherz nur den Kopf. Rechtlich ist daran aber nichts zu beanstanden, wenn der Produzent den schmalen Grat kennt, den er gehen muss, um keine Probleme mit den Behörden zu bekommen.

Hinter Sonnenherz und dem dazugehörigen Online-Geschäft Shopnatur24 steht Thomas Müller, Finanzbeamter, Mitte 50, aus Lüdenscheid in Nordrhein-Westfalen. Ein eloquenter Mann, der seine Produkte seit 2015 neben dem Beruf her selbst entwickelt, herstellt und vertreibt. Deren Grundprinzip sind sogenannte energetische Frequenzen, also Schwingungen, die Energien im Menschen regulieren sollen. Dieser nimmt der Anwender über Globuli, Essenzen oder Öle auf. Mediziner nehmen das nicht ernst, das Geschäft aber brummt. Der Kundenstamm wächst kontinuierlich. 150 Produkte hat Müller bereits im Angebot, dutzende sollen in den nächsten Monaten dazukommen.

Registrieren muss Müller seine Produkte nicht, denn juristisch sind sie keine Homöopathika – geschweige denn Arzneimittel –, sondern Lebensmittel. „Chemisch gesehen sind das ja nur Zuckerkügelchen“, räumt er ein. Die versprochene Wirkung komme erst durch ebenjene Frequenzen: Die Globuli-Rohlinge bestellt er bei Amazon, nimmt einen Träger der Frequenz – meist Steine oder Flüssigkeiten – und überträgt die Schwingungen mittels Meditation auf die Globuli. 14,95 Euro kostet das dann beispielsweise für 5 Gramm „Amethyst-Globuli“ oder 24,95 Euro für das „600 in 1 Multi-Energie-Globuli Maximum Flow“. Mit den wissenschaftlichen Standards der Schulmedizin hat das nichts zu tun – dessen ist er sich vollkommen bewusst.

Aber er sieht Gemeinsamkeiten in der Wirkungsweise: „Man weiß ja mittlerweile, dass der Placebo-Effekt genauso sehr hilft wie der eigentliche Wirkstoff“, führt er aus. „Das Denken – der Glaube – ist ja auch eine Frequenz, die vom Gehirn erzeugt wird und auf jede einzelne Körperzelle einwirkt.“ Deshalb denselben therapeutischen Anspruch zu erheben, will er sich aber nicht anmaßen – dürfte er auch gar nicht. Die Regularien des Arzneimittelgesetzes und die Health-Claims-Verordnung der EU verbieten das. In Deutschland werden diese Regularien oft von Behörden durchgesetzt, die dem jeweiligen Gesundheitsministerium nachgeordnet sind – in Müllers Fall von der Bezirksregierung Arnsberg. Die müsst erst einmal prüfen, ob es sich rechtlich noch um Lebensmittel handelt oder schon um Präsentationsarzneimittel – und die Verantwortung gegebenenfalls an das Gesundheitsministerium in NRW weitergeben.

Vorsicht ist also geboten. „Bei allen Behauptungen, die mit Krankheiten oder Heilung zu tun haben, muss man höllisch aufpassen“, denn gesundheitsbezogene Äußerungen sind anerkannten Medizinprodukten vorbehalten. Die Beschreibung der Wirkung ist dementsprechend ein schmaler Grat. „Ich darf in diesem Zusammenhang nicht einmal das Wort Blockade nennen, sofern es sich um ein körperliches Problem handelt. Denn das geht schon in die pharmakologische Richtung und kann abmahnfähig sein.“

Frustriert wirkt er angesichts dieser Einschränkungen jedoch nicht. Im Gegenteil, er befürworte sogar, dass er seine Produkte nicht mit Gesundheitsversprechen bewerben darf. „Am Anfang hätte ich mir da schon mehr Freiheiten gewünscht, aber mittlerweile bin ich mit der Rechtslage eigentlich sehr zufrieden“, versichert der 54-Jährige und stellt klar: „Es sind halt absolut keine Medizinprodukte, sondern esoterische, in denen feinstoffliche Energien gespeichert sind. Und da geht es neben der energetischen Funktionsweise auch um den Glauben, nie um den wissenschaftlichen Nachweis.“ Seine Globuli würden nicht chemisch oder physikalisch wirken, sondern rein emotional.

Entsprechend ist seine Seite auch voller Disclaimer, die genau darauf hinweisen. „Sonnenherz-Produkte sind keine Arzneimittel und dienen nicht der Heilung von Krankheiten“, liest man da beispielsweise. „Ein Heilversprechen durch die Produkte wird somit nicht gemacht und auch ausgeschlossen. Sollten Sie an einer Krankheit leiden, so suchen Sie bitte einen Arzt auf! Bereits vom Arzt verschriebene Medikamente dürfen keinesfalls abgesetzt werden.“ Diese Disclaimer müsse er haben, „sonst hagelt es Abmahnungen.“ Natürlich verliere er dadurch ein paar potenzielle Kunden, „aber lieber ein paar Kunden weniger als ein paar Abmahnungen mehr.“

Die Disclaimer seien aber nicht nur rechtliche Absicherung, beteuert er. Denn mit der Welt der Esoterik – und dadurch auch mit seinen Wettbewerbern auf dem Markt – fremdelt er selbst ziemlich. „Da sind schon sehr viele Spinner unterwegs. Ich will das aber nicht verurteilen, denn wer weiß, wo ich mit meinen Erkenntnissen um die feinstoffliche Welt selbst in fünf oder zehn Jahren stehe.“ Das Problem bei den meisten Esoterikern sei, „dass die alle aus einer persönlichen Krise zur Esoterik kommen. Fast alle haben irgendeinen Mist erlebt und versuchen dann, anderen zu helfen – haben aber oft ihre eigenen Probleme noch gar nicht im Griff“.

Auch Müller tauchte einst nach einer schweren Trennung Schritt für Schritt in das Thema ein. Es begann mit Reiki, Theta-Heilen und Klopfakupressur. Später entdeckte er die Lehren von Jakob Lorber, einem christlichen Mystiker und selbsternannten Propheten, der sich mit Homöopathie beschäftigte und wesentliche Grundlagen für Müllers Arbeit legte. Er stehe aber mit beiden Beinen im Leben, versichert der ehemalige Vollstreckungsbeamte. „Die Kombination aus Job und Nebengeschäft erdet mich sehr. Es ist wichtig, die Balance zu halten, also einerseits den Blick für die Realität zu bewahren, andererseits aber auch eine spirituelle Ebene zu haben.“

Zu den Spinnern zählt er auch die Anhänger der Chemtrail-Theorie, eine der bekanntesten Verschwörungstheorien unserer Zeit. Der zufolge handelt es sich bei den weißen Streifen am Himmel keineswegs nur um kondensierte Flugzeugabgase. Vielmehr seien es böse Mächte – wahlweise einer der Klassiker: die US-Regierung, Illuminaten oder eine „jüdische Weltverschwörung“ – die mittels Chemikalien in den Kondensstreifen die Bevölkerung vergiften oder Einfluss auf das Klima nehmen wollen.

„Ich halte das für dummes Zeug“, stellt Müller klar. Dennoch: Geld kann man damit verdienen. 14,95 Euro kosten 5 Gramm „Chemtrail-Entgiftungs-Globuli“ – ein reines Entgiftungsprodukt, wie er versichert. Es helfe, sich vor Schwermetallen und „Umweltgiften aller Art“ zu schützen. „Sie brauchen nun nicht länger Angst vor den Folgen der Chemtrails zu haben“, verspricht die Beschreibung. Der Grenze zu Health Claims ist dabei mal wieder nahe.

Das sei jedoch eine Ausnahme. Denn Menschen mit ernstzunehmenden Erkrankungen zu suggerieren, man könne sie mit Globuli oder Homöopathika heilen, halte er für ethisch nicht vertretbar. „Ich bin beispielsweise absolut kein Fan der heutigen Therapieformen bei Krebs. Aber die etablierten Therapien haben bei so etwas einfach Vorrang. Meine energetischen Produkte stellen nur eine feinstoffliche Unterstützung zur Schulmedizin dar, ohne jedoch Medikamente zu sein.“ Trotzdem will er nicht ausschließen, dass es esoterische Therapien irgendwann in die Schulmedizin schaffen. „Vieles, was früher belächelt wurde, hat heute Eingang in den Wissenschaftskanon gefunden, die Quantentheorie beispielsweise. So, denke ich, ist es auch mit dem morphischen Feld.“

Das morphische Feld ist eine vom britischen Biologen Rupert Sheldrake entwickelte Theorie über ein energetisches Feld, das für eine „formgebende Verursachung“ von lebenden Strukturen verantwortlich sein soll. Sie wird von der großen Mehrheit der Wissenschaftler ignoriert oder der Pseudowissenschaft zugeschrieben. Einige Forscher fordern hingegen, die Hypothese zumindest zu überprüfen. Viele Esoteriker bringen sie mit den angenommenen Energiefrequenzen in Verbindung, die den Menschen leiten. Müllers Frequenzen-Theorien schließen da an.

Wie kommt man dazu, sich so intensiv mit diesen alternativen Wissenschaften auseinanderzusetzen? „Man findet das nicht – es findet einen“, gibt sich Müller mysteriös. „Man kann da keine Aufklärungsarbeit leisten, entweder eine Person ist offen für so etwas oder sie ist es nicht.“