Früher galt der Beinbruch als typische Skiverletzung. Mit besserer Sicherheitstechnik wird er seltener. Dafür haben es Ärzte öfter mit dramatischen Unfällen und multiplen Verletzungen zu tun. Manche sehen im Kunstschnee einen Grund – aber oft bleibt die Ursache unklar.
Perfekte Verhältnisse mit viel Neuschnee, der Skifahrer trug einen Helm, die Abfahrt war nur mittelschwer. Warum der 67-Jährige am Dienstag am Brauneck in Oberbayern von der Piste abkam und gegen eine Baum raste, ist unklar. Der Helm konnte ihn nicht retten – er erlag am Berg seinen tödliche Kopfverletzungen.
„Tödliche Unfälle auf der Piste sind äußerst selten“, sagt Andreas König, Sicherheitsexperte beim Deutschen Skiverband (DSV). Der DSV geht davon aus, dass 4,2 Millionen Deutsche regelmäßig auf die Ski steigen. Hochgerechnet rund 42 000 Wintersportler verletzten sich 2015/2016 so, dass sie ärztliche Behandlung brauchten. Dabei stieg die Zahl derer, die im Krankenhaus landeten, um rund 600 auf 7300 im Vergleich zur Vorjahressaison. Vor allem Kopf, Hals und Brustkorb sind öfter betroffen als früher.
Zusammenstöße auf der Piste machen nach der vom DSV herausgegebenen Statistik 15 Prozent der Skiunfälle aus. Experten warnen vor allem angesichts immer vollerer Pisten vor solchen Unfällen. König meint hingegen: „Kollisionen passieren dann, wenn auf der Piste nichts los ist – weil die Leute weniger aufpassen.“
Korbinian aus München hat diese Erfahrung gemacht. „Wir waren allein auf der Piste. Plötzlich scheppert es“, berichtet der 20-Jährige über den Skitag mit einem Freund. Die beiden, sehr gute Skifahrer und seit früher Kindheit auf den Brettern, sind mit Wucht zusammengestoßen. Der Student hat für den Unfall kurz nach Neujahr nur eine Erklärung: Unaufmerksamkeit. Er hat sich den Arm ausgekugelt und wird in diesen Tagen in der Sportorthopädie des Klinikums Rechts der Isar operiert.
Über die Entwicklung bei den Skiunfällen allgemein scheiden sich die Geister. Laut DSV haben sie in Relation zur Zahl der Skifahrer durch bessere Bindungen, kürzere Skier und Helme abgenommen. „Wir haben 50 Prozent weniger Verletzungen als 1980“, sagt König. Er nennt auch gut präparierte und beschneite Pisten als Grund. „Sie haben keine Felsen, die offen herumliegen, und keine schneefreien Stellen.“
Viele Experten sehen hingegen hohe Geschwindigkeiten auf gut gepflegten, aber oft beinharten Pisten als eine Ursache für gravierende Unfälle, die auch eine bessere Ausrüstung mit Sicherheitsbindung, Protektoren und Helm nicht verhindern kann.
Anders als der DSV geht der Chefarzt der Abteilung für Sportorthopädie im Münchner Uni-Klinikum Rechts der Isar, Andreas Imhoff, davon aus, dass die Verletzungen umgerechnet auf die Zahl der gefahrenen Kilometer zunehmen. In der ersten Hälfte der Weihnachtsferien mussten er und seine Kollegen besonders viele schwere Knochenbrüche, Bänderrisse und ausgekugelte Gelenke operieren. Nicht etwa, weil frischer Pulverschnee lockte, sondern gerade weil es bis zum Jahreswechsel nicht geschneit hatte. „Kunstschnee ist ein Problem.“
Die Pisten würden platter gewalzt als früher, ohne Hügel und Buckel, damit der immer knappere Schnee länger hält. Gerade die Piste aus Maschinenschnee sei eher hart und schnell, fast wie beim Abfahrtslauf der Profis. Dabei seien darauf keineswegs nur Könner unterwegs. „Die Verletzten sind eher schlechtere Skifahrer und Anfänger, die leichter stürzen“, sagt Imhoff. „Geschwindigkeit ist ein wesentlicher Unfallfaktor.“ Viele gingen auch völlig untrainiert auf die Piste. „Es wundert mich schon, dass die Leute sich nicht vorbereiten.“
Schmale Schneebänder zwischen braunen Bergrücken, auf die warme Winter Skifahrer immer öfter zwingen, bergen nach Ansicht von Experten eigene Gefahren – etwa eben Zusammenstöße. „Es wird halt einfach enger auf der Piste, wenn sie so schmal ist“, sagt Imhoff.
Oder Wintersportler verlieren die Kontrolle wie auf engen Straßen. „Die Skifahrer schießen über die Piste hinaus und landen im Gelände“, sagt Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein (DAV). Dort drohen ohne weiche Schneedecke Verletzungen durch Baumstümpfe und Felsen.
Die Verletzungen sähen manchmal aus wie nach einem Motorradunfall, es gebe Schädel-Hirn-Traumen, Wirbelbrüche und innere Verletzungen, berichtet der Arzt und Bergführer Ulrich Steiner, der als Flugrettungsnotarzt in österreichischen Skigebieten Dienst tut. „Wenn man die letzten Winter anschaut, in denen man viel auf Kunstschnee unterwegs war, sieht man, dass die Unfälle oft sehr schwer sind.“
Im vergangenen Jahr holte Steiners Team mit dem Hubschrauber eine 50-jährige Skifahrerin, die am Rand einer zehn Meter breiten Kunstschneepiste eine Böschung hinuntergestürzt war. Diagnose: Gehirnerschütterung, Wirbelkörperfraktur, mehrere Rippenbrüche, Lungenkollaps und Lungenquetschung. Mit ähnlichen Verletzungen brachte Steiner einen Snowboarder ins Krankenhaus, der auf Kunstschnee an einem Baumstumpf verunglückt war. „Das sind nicht die üblichen Skiunfälle wie früher.“
Auch Steiner sieht im hohen Tempo auf vollen Pisten Gefahrenmomente. „Mit den taillierten Skiern ist ein schlechter Skifahrer viel schneller mit einem falschen Sicherheitsgefühl unterwegs. Man sieht schon oft, dass jemand mit schlechtem Können über seine Verhältnisse fährt.“
Seit ein paar Jahren wird Steiner zunehmend zu Funparks gerufen. Sie liegen im Trend. Könner nutzen die Schanzen und Pipes zum Üben für waghalsige Sprünge, die sie später im Gelände machen wollen. Die Parks direkt an den Pisten verleiten aber auch weniger Geübte zu gewagten Versuchen. „In den Funparks passiert relativ viel – und wenn etwas passiert, sind es meist schwere Unfälle.“
Einige Skifahrer und Snowboarder lockt extremes Gelände. Filme von Abfahrten über unberührte Hänge bieten atemberaubende Perspektiven. Für meterweite Sprünge über senkrechte Passagen ist viel Schnee nötig – der immer öfter fehlt. „Sie springen – und drunter ist kein Schnee, sondern Felsen“, sagt Imhoff. Gesplitterte Gelenke und schwerste Verletzungen aller Art: „Das ist etwas, was wir jeden Winter sehen.“
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