Sind diese Tropfen vegan? Sarah Sonntag, 29.10.2017 07:50 Uhr
Wieder einer der Tage, an dem ich denke: „Ach, wie sehr vermisse ich doch meine Couch und meinen Fernseher.“ Doch keine Zeit für Gefühle, der Nachtdienst steht an und ich bin jetzt Helfer in der Not.
Max, mein treuer Freund, ist jetzt erstmal unter der Dusche. Er war heute viel im Einsatz, denn vier Rezepturen standen auf dem Programm. Als Fantaschale hat man ein anstrengendes Leben, sagte er mir letztens. Denn ständig werde er einfach nur als Mittel zum Zweck genutzt. Dem stimme ich zu, ich bin für die Krankenkassen auch nichts anderes. Während er seine Salbenreste abschrubbt, bereite ich schon mal mein Bett vor. Man weiß ja nie, wie viel los ist.
Der Nachtdienst beginnt mit zwei Kunden, Erkältungsmittel sind gefragt. Der eine wollte Nasentropfen für Babys, der andere brauchte eine Erkältungssalbe für Erwachsene. Ich weiß, wie anstrengend es ist, wenn man kaum atmen kann. Ausnahmsweise gebe ich im Notdienst ein Geschenk mit, aber bei einer laufenden Nase sind Taschentücher eben Gold wert.
Während der Wasserkocher auf Hochtouren läuft, um mir gleich meinen grünen Tee schmackhaft zu machen, klingelt das Telefon: „Sie müssen mir helfen, ich habe eine dringende Frage“, sagt die junge Frau besorgt. Ihre Freundin hätte ihr ein pflanzliches Mittel gegen Schnupfen und Entzündungen bei Nasennebenhöhlenentzündungen vorbeigebracht. „Sind diese Tropfen vegan?“ Die Angaben des Beipackzettels hätten sie irritiert, da stehe „Apis“. Google spucke bei diesem Wort Honigbienen aus. Soll ich jetzt wirklich im Nachtdienst erklären, was der Unterschied zwischen pflanzlichen und homöopathischen Arzneimitteln ist?
„Wenn Sie sich beraten lassen und etwas kaufen möchten, dann kommen Sie doch bitte tagsüber in die Apotheke“, sage ich. „Sie rufen im Apothekennotdienst an und das ist garantiert kein Notfall“. Doch die Frau bleibt hartnäckig, in ihren Augen sei dies einer. Ich kläre sie auf, dass „Apis“ Honigbiene bedeutet, aber homöopathisch verdünnt ist. „Ich glaube, Ihre Frage ist hiermit beantwortet“, sage ich. Am anderen Ende der Leitung regt sich die Dame auf: „Es kann doch nicht sein, dass das nicht klar deklariert ist. Unverschämt!“ Sie könne es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren, dass für das Arzneimittel Bienen sterben mussten. Da habe sie doch lieber Schnupfen.
Ich bin sprachlos. Nicht, dass ich Kunden keine pharmazeutische Beratung gönne. Aber das ist einfach nur dreist. Wir sind doch keine 24h-Beratungshotline? Ein Anwalt hätte für dieses Beratungsgespräch bestimmt einen zweistelligen Betrag erhalten. Warum muss ich als ein ausgebildeter Apotheker meine Dienstleistungen kostenfrei anbieten? Vor allem nicht im Nachtdienst. Ein Suchbegriff bei Google und schon sehe ich, dass die Anwaltshotline 1,99 Euro pro Minute kostet. Interessant.
Es ist einfach nur schade, dass unsere Leistungen nicht adäquat honoriert werden, obwohl viele Kunden immer noch denken, wir hätten einen Goldesel in der Offizin stehen. Das anstrengende Studium zahlt sich leider nicht aus. Die Realität hat mich wieder eingeholt, ich brauche jetzt Schokolade. „Hättest du doch was anderes studiert“, kommentiert Max.