Sepsis: Viele Todesfälle vermeidbar dpa, 06.09.2016 22:27 Uhr
Allein in Deutschland erkranken mehr als 279.000 Menschen jährlich an einer Sepsis – Tendenz steigend. Fast jeder vierte Patient stirbt. Nach Ansicht von Experten wären viele dieser Todesfälle vermeidbar.
Ärzte haben vor einem weiteren Anstieg bei Sepsis-Erkrankungen – umgangssprachlich Blutvergiftung genannt – gewarnt. In den Industrienationen sei die Sepsis-Rate während der vergangenen Jahre stetig gestiegen, sagte der Vorsitzende der Globalen Sepsis Allianz, Konrad Reinhart, in Jena. „Inzwischen sterben dort mehr Menschen an einer Sepsis als an Darm- und Brustkrebs zusammen.“
Die Experten fordern weltweit mehr Aufklärung in Hygiene-Fragen, Impfprogramme für Risikopatienten etwa gegen Grippe und Pneumokokken sowie eine bessere Schulung von medizinischem Personal, um eine Sepsis früher erkennen und richtig behandeln zu können. Zudem müssten bis 2020 in allen Ländern Sepsis-Register eingerichtet werden, die Grundlage für ein internationales Register seien.
So könnten die Erkrankungen und Todesfälle besser dokumentiert und der Erfolg einzelner Maßnahmen genauer untersucht werden. Ziel sei, die Diagnose und Behandlung von Sepsis deutlich zu verbessern. Eine entsprechende Vorlage will Deutschland mit anderen europäischen Staaten 2017 in die Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation einbringen.
Allein in der Bundesrepublik hat die Zahl der Sepsis-Erkrankungen laut Reinhart in den vergangenen Jahren im Schnitt um 5,7 Prozent zugenommen. Demnach erlitten 2013 – aktuellere Zahlen liegen den Angaben nach nicht vor – etwa 279.500 Menschen hierzulande eine Sepsis; fast jeder vierte Patient starb. Der Anstieg wird auch auf die höhere Lebenserwartung zurückgeführt.
In ärmeren Ländern trügen zudem Unterernährung, mangelnde Hygiene und fehlende Impfungen sowie Wissenslücken über die Behandlung der Sepsis zu hohen Todesraten bei. Reinhart: „Sepsis ist weltweit eine der häufigsten Todesursachen und gehört zu den wenigen Erkrankungen, die gleichermaßen Menschen in Entwicklungsländern und in Industriestaaten heimsuchen.“
Bei einer Sepsis gerät eine Entzündung außer Kontrolle und die körpereigene Abwehr schädigt das eigene Gewebe. Erreger gelangen von einem Herd – zum Beispiel einer Wunde – aus in die Blutbahn. Der Blutstrom verschleppt die Keime in andere Organe, wo sie sich ansiedeln und neue Krankheitsherde bilden. Das kann zum Versagen lebenswichtiger Organe führen.
Je früher eine Sepsis von Ärzten erkannt wird, desto besser sind die Überlebenschancen. Mediziner gehen davon aus, dass für die meisten Todesfälle bei Infektionskrankheiten wie Lungenentzündung, Aids oder Malaria eine Sepsis verantwortlich ist.
Am Donnerstag startet ein weltweiter Kongress von Sepsis-Experten – die Vorträge und Diskussionsrunden werden erstmals komplett im Internet gehalten. Laut Reinhart haben sich dazu bisher rund 10.000 Organisationen und Einzelpersonen angemeldet. Jena, wo Reinhart als Seniorprofessor am Universitätsklinikum tätig ist, gilt als Zentrum der Sepsis-Forschung in Deutschland. Hier ist seit 2008 ein vom Bund gefördertes Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum für Sepsis und Sepsis-Folgen angesiedelt.