Was haben tote Pop-Ikonen mit Apothekern gemeinsam? Nicht viel. Außer eventuell einer gewissen Affinität zu Medikamenten respektive Drogen. Das war auch der Ansatzpunkt für ein ungewöhnliches Projekt eines Bio-Leistungskurses der Bünder Gymnasien und der Apotheke am Goetheplatz. Anlässlich des Unterrichtsmoduls „Neurophysiologie“ beschäftigen sich Schüler mit Prominenten, die durch Medikamenten- oder Drogenmissbrauch gestorben sind. Apothekerin Kathrin Müller erzählte den Gymnasiasten, wie solche Substanzen im Körper wirken. Sie hofft, damit auch für ihren Beruf werben zu können.
„Break on through to the other side“ nennen die beiden Fachlehrer Thomas Braun und Carolin Seide die Aktion. Angelehnt ist der Projektname an einen Song der legendären US-Rockband „The Doors“. Deren Sänger Jim Morrison ist 1971 in Paris an einer Heroin-Überdosis gestorben. „Das Unterrichtsthema gibt es her, dass man sich auch mit Drogen und Medikamenten beschäftigt. Daher bot es sich einfach an, sich in diesem Zusammenhang auch mit Musikern zu beschäftigen, die durch Missbrauch oder Überdosierung von Drogen und Medikamenten zu Tode kamen“, sagt Braun. Der Biologie-Leherer will so den komplexen Themenbereich Neurophysiologie seinen Schülern möglichst anschaulich vermitteln. Im Fokus stehen dabei solche Pop- und Rock-Größen wie Michael Jackson, Prince oder Linkin-Park-Sänger Chester Bennington.
Der biologisch-medizinische Teil des Themas wird über den regulären Unterricht abgedeckt. Ergänzend hat Müller als Apothekerin in einer Schulstunde einen Vortrag zu verschiedenen Substanzen gehalten, die mit dem Tod der Künstler in Verbindung gebracht werden. Sie erklärte den Projektteilnehmern, wie einschlägige Medikamente sowie Betäubungsmittel wirken und welche Symptome beim Missbrauch verschiedener Drogen auftreten können. „Durch den Konsum von Crystal Meth können etwa die Zähne ausfallen. Die Droge macht Abhängige bereits nach kurzer Zeit seelisch und körperlich kaputt“, sagt Müller. Anschließend fand eine Diskussion mit den Jugendlichen statt.
Der Apothekerin ist es wichtig, den Schülern zu zeigen, dass viele physiologische Prozesse, die in der Schule trocken erlernt, in der Medizin und Pharmazie zum Leben erweckt werden. „Mit einem solchen Ansatz haben wir mehr Chancen, die jungen Menschen schon frühzeitig für die Pharmazie zu begeistern“, glaubt Müller. Eine perfekte Gelegenheit für die Apothekerin und ehemalige Schülerin des Gymnasiums also, sich und ihren Beruf praxisnah darzustellen.
„Viel zu häufig sind wir mit dem Bild des Schubladenziehers konfrontiert oder müssen erleben, dass Kunden lediglich an Chemie denken, wenn es gilt, den Beruf des Apothekers näher zu charakterisieren“, erläutert sie. Die Folge: Viele Schüler haben die Pharmazie gar nicht auf dem Schirm, wenn sie sich für einen Beruf entscheiden. Dem entgegenzuwirken und Begeisterung für das Fach zu wecken, ist das Ziel der Kooperation zwischen der Apotheke am Goetheplatz und dem Gymnasium am Markt in Bünde, die schon seit einigen Jahren besteht.
Jedes Jahr wird ein anderes Thema beleuchtet. 2016 beispielsweise standen die „Wirkstoffe an spannungsabhängigen Ionenkanälen“ im Vordergrund. Der Fokus des Vortrags von Müller lag entsprechend auf den Rezeptoren, die nach Substratbindung mit einer Änderung der Ionenleitfähigkeit an der Membran reagieren. Zu nennen sind hier beispielsweise die 5-HT3-Rezeptoren, die ganz maßgeblich am Chemotherapie-bedingten Erbrechen beteiligt sind und die durch die Wirkstoffgruppe der Setrone eine effektive Blockade erfahren.
Müller erläuterte auch, dass im Rahmen der Epilepsietherapie die Sensibilität von Natrium-, Calcium- und Chloridkanälen ausgenutzt wird, um Gehirnzellen von spontanen Entladungen abzuschirmen. Auch die Wirkung von Tranquilizern fußt auf dem Prinzip der verstärkten Hyperpolarisation durch Chloridionen-Einstrom in die Zelle. Eine Lokalänasthesie hingegen basiert auf Unterbrechung des Natriumionen-Einstroms in nozizeptiven Nervenfasern, wie die Apothekerin erklärte.
Die sich anschließende Diskussion konzentrierte sich vor allem auf die Tranquilizer und die mit diesen Wirkstoffen oft verbundene Suchtproblematik, berichtet Müller. Punkte wie klare Indikationsstellung, kleinste Dosierung und kurzmöglichste Anwendung wurden ebenso angesprochen wie auch Unterschiede zu Betäubungsmittelverordnungen. Darüber hinaus zielten etliche Fragen auf die Diagnose ADHS ab. Auch eine eindeutige Positionierung bezüglich Alltagsdoping wegen des zunehmenden Leistungsdrucks in Schule und Beruf war gefragt.
Doch nicht nur Vorträge im Unterricht gehören zur Kooperation. Um tiefer in die Materie einzutauchen, besuchen die Jugendlichen auch die Apotheke am Goetheplatz. Dort konnten die Schüler auch in diesem Jahr an drei Stationen in die pharmazeutische Arbeit reinschnuppern. „Sie lernen den HV-Bereich, die Rezeptur und das Labor kennen“, erzählt die Apothekerin. Dort erfuhren die Schüler vom PTA Martin Schmitz beispielsweise, dass es für Kokain eine medizinische Anwendungsmöglichkeit in Deutschland gibt: Eine 1-prozentige Kokain-Hydrochlorid-Lösung kann bei Augen-OPs eingesetzt werden.
Laut Müller kommt diese Form der Projektarbeit bei den Schülern gut an. Das zeigten etliche Evaluationen, die seit dem Beginn der Zusammenarbeit durchgeführt wurden. Die Ergebnisse des Projekts sollen im Frühjahr 2018 auf großformatigen Plakaten der Öffentlichkeit vorgestellt werden. „Die Poster sollen einerseits den toten Künstler darstellen, sein Leben, seine Musik, seine psychischen Probleme und seinen Tod“, erklärte die Apothekerin. Andererseits sollen auch die neuronalen Wirkungen der Drogen oder Medikamente, die zum Tod geführt haben, veranschaulicht werden, und zwar so, dass es auch für den Laien verständlich ist.
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