In den Bankrottprozess gegen den Ex-Drogeriemarktkönig Anton Schlecker und seine Kinder kommt Bewegung. Sowohl Ankläger als auch Verteidiger rückten heute vor dem Stuttgarter Landgericht von ihren bisherigen Positionen zu einem entscheidenden Aspekt des Verfahrens ab. So sagte Staatsanwalt Thomas Böttger, aus seiner Sicht sei Schlecker Ende 2010 die drohende Zahlungsunfähigkeit seiner Firma klar geworden. Bisher waren die Ankläger davon ausgegangen, dass Schlecker schon Ende 2009 das Unheil kommen sah und trotzdem Firmenvermögen an seine Familie verschob. Die Verteidigung wiederum nannten April 2011 als möglichen Zeitpunkt.
Schlecker meldete im Januar 2012 Insolvenz an, Zehntausende Menschen verloren ihre Jobs. Wann genau die Zahlungsunfähigkeit drohte, ist ein entscheidender Aspekt: Ab dann hätte er kein Firmenvermögen mehr an seine Familie verschieben dürfen – Schlecker haftete als eingetragener Kaufmann mit seinem Privatvermögen für die Firma. Würde der Zeitpunkt für die absehbare Pleite spät angesetzt, würde sich das Strafmaß für die Angeklagten deutlich reduzieren.
Auch das Gericht deutete einen Zeitpunkt an – der Vorsitzende Richter Roderich Martis nannte den 28. Januar 2011 als mögliches Datum. An diesem Tag lagen Schlecker negative Zahlen für das Jahr 2010 vor – es sei also deutlich geworden, wie schlecht es um die Firma bestellt war. Bestimmte Rechnungen wurden nicht mehr beglichen. „Es wurde nur noch das bezahlt, was zum Überleben notwendig war“, sagte Martis.
Schleckers Verteidiger, Norbert Scharf, nannte hingegen den April 2011 als möglichen Zeitpunkt für eine drohende Zahlungsunfähigkeit. Es sei logisch gewesen, dass die 2010 gestarteten Maßnahmen zur Restrukturierung nicht sofort Früchte tragen würden – daher wäre Anfang 2011 zu früh. Im zweiten Halbjahr 2011 sei es dann aber finanziell düster geworden, räumte Scharf ein. „Gegen Ende 2011 wird die Argumentation für die Verteidigung schwieriger.“
Zudem verlas das Gericht ein Protokoll aus zwei nichtöffentlichen Vernehmungen vergangener Wochen in der Schweiz. Zwei Mitarbeiter des Warenhändlers Markant hatten sich geweigert, nach Stuttgart zu kommen – sie hatten befürchtet, vor einem deutschen Gericht zu Aussagen verleitet zu werden, die in der Schweiz wegen Verletzung von Firmengeheimnissen unter Strafe stehen könnten.
Die Aussage eines der Zeugen könnte Schlecker etwas entlasten. „Ich bin überzeugt, dass Herr Schlecker bis zum Schluss glaubte, dass er sein Unternehmen weiterführen kann», so der Markant-Manager. Probleme seien zwar schon 2009 erkennbar gewesen, aber es habe immer wieder Hoffnung auf bessere Geschäfte gegeben. Erst am 19. Dezember 2011 sei Schlecker bei einem Treffen in der Markant-Zentrale in Pfäffikon in der Schweiz bewusst geworden, dass eine Pleite unvermeidlich sei. „Ihm wurde aschfahl und er bekam Tränen im Gesicht.“
Dass erst so spät der Groschen fiel, lag laut Zeugenaussage auch etwas daran, dass ein Schlecker-Mitarbeiter seinem Chef nicht reinen Wein einschenkte. Besagter Schlecker-Geschäftsführer „war ein Dampfbläser, der war eine Katastrophe – der hat alles erzählt, nur in der Familie Schlecker gute Stimmung zu machen“, so der Zeuge laut Gerichtsprotokoll. Ein Ende des im März gestarteten aufwendigen Strafverfahrens ist noch nicht absehbar.
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