In Lüdenscheid wurden die drei Schaufenster der Hirsch-Apotheke von jeglichem Werbematerial zu Arzneimitteln befreit, stattdessen bringen Inhaber Dr. Wolfgang Scholz und seine stellvertretende Apothekenleiterin Dina Ramadan ihren Unmut über die Gesundheitspolitik zum Ausdruck. Sie sind während einer Unterhaltung über die Miseren auf die Idee des „Anti-Lauterbach-Schaufensters“ gekommen und stellen den Gesundheitsminister an den Pranger.
Die vom Apothekenteam gestaltete Präsentation in den Schaufenstern werde von Kund:innen und Passant:innen aufmerksam wahrgenommen, berichtet Ramadan. „Die Schaufenster kommen so gut an, dass Passant:innen, die wir gar nicht kennen, in die Apotheke kommen und die Kritik, die zur Schau gestellt wird, hoch loben. Wir bekommen tatsächlich sehr viel Beifall dafür, dass die Missstände der Gesundheitspolitik öffentlich gemacht werden.“
Der zündende Punkt zur Umdekoration seien die 50 Cent als geplante Vergütung für das Engpassmanagement gewesen. „Was hat dieser Mann eigentlich für eine Ahnung über das praktische Geschehen in einer Apotheke? Was bildet der sich ein? Es ist eine riesengroße Respektlosigkeit gegenüber diesem Berufsstand“, so Scholz. „Das, was wir Apotheker:innen täglich leisten, sollte man entsprechend würdigen und mit Respekt schätzen. Stattdessen fliegen einem solch mickrigen Angebote um die Ohren.“ Desweiteren habe Lauterbach überhaupt kein Ohr für Apotheken und auch kein Ohr für den Mittelstand: „Er interessiert sich lieber für eine Versandapotheke im Ausland, die seit Jahrzehnten rote Zahlen schreibt.“
Scholz hat nachgerechnet, wieviel Zeit er mit 50 Cent überhaupt vergütet bekommt: Es sind gerade einmal 18 Sekunden. „Ich weiß nicht, was ich in der kurzen Zeit schaffen soll – das ist geradezu ein Witz.“
Die Diskussion darüber führte innerhalb kürzester Zeit zu der Idee für das Schaufenster: „Einsparungen bis zum Umkippen“, so die Botschaft. Die benachbarten Geschäfte C & A und Sinn haben Schaufensterpuppen zur Verfügung gestellt, die im Schaufenster der Hirsch-Apotheke umfallende Apothekenmitarbeiter:innen symbolisieren. Die Puppe trägt einen weißen Kittel. Dieser ist beschriftet mit den Medikamenten, die dem Team in Lüdenscheid momentan nicht zur Verfügung stehen. Aktuell seien es um die 250 Medikamente, die nicht lieferbar sind, darunter die komplette Bandbreite an Antibiotika. Über ein Foto von Lauterbach haben die Kolleg:innen der Hirsch-Apotheke einen Banner gehängt: „Mit diesem Lächeln fährt das Gesundheitssystem vor die Wand“.
Für Kinder kann das Team der Hirsch-Apotheke manche Tage keinen einzigen Saft beziehen. „Die Situation ist katastrophal“, berichtet Ramadan. „Ich stehe im HV und muss der Mutter eines kranken und fiebernden Kindes sagen, dass ich ihr nicht helfen kann. Ich kann nichts tun, kann nicht improvisieren oder mit dem Arzt einen anderen Saft besprechen, weil auch die Ausweichpräparate nicht mehr vorhanden sind. Das ist erschütternd für uns, wie für die Eltern auch.“ Das Mittel der ersten Wahl bei Scharlach, nämlich Penicillin, gebe es schon lange nicht mehr. Die Alternative, Amoxicillin, bekomme man auch kaum noch. „Es ist absolut unverständlich!“
Mittlerweile seien die Kund:innen zwar nachsichtiger, aber das erkrankte Kind brauche trotzdem sein Antibiotikum. „Man kann keinem Menschen zumuten, von Apotheke zu Apotheke zu laufen oder diese erstmal alle abzutelefonieren, um ein Medikament zu bekommen. Gerade bei Antibiotika – da muss innerhalb kurzer Zeit mit der Therapie begonnen werden.“ Ramadan und ihre Kolleg:innen suchen ständig nach Lösungen und versuchen die Bevölkerung zu versorgen. „Das ist ja unsere Aufgabe, aber nun stoßen wir an unsere Grenzen. Wir brauchen eine Lösung!“
„Früher hat man angenommen: Lieferenpässe bei Arzneimitteln, das gibt es nur in einem Entwicklungsland, aber nicht in Deutschland“, erzählt der Apothekeninhaber. „Aber nun stehen wir hier vor einer Situation, die letztlich die Folge einer jahrzehntelangen völlig verfehlten Gesundheitspolitik ist.“
Man könne nicht die Augen davor verschließen, dass der Apothekenbetrieb mit all seinen Anforderungen und seinen Investitionen als Ersatzinstrument dient, indem er Arzneimittel selbst herstellt, weil die Industrie nicht liefern kann. „Wir müssen uns aber mit Rezepturzuschlägen auseinandersetzten, die ein ökonomisches Arbeiten unmöglich macht.“
„Das ist alles absurd – die Minister der Bundesregierung haben das zu verantworten, auch wenn diese Verordnungen vielleicht nicht gerade von ihnen selbst stammen – aber sie sind letztlich dafür verantwortlich. Die müssen sich doch mal Gedanken machen, was da eigentlich alles drin verfügt ist und mit welchen Rahmenbedingen hier gearbeitet wird.“
Scholz könne keine PTA einen Saft herstellen lassen, den der Kinderarzt verordnet hat, da die Kassen viel zu wenig dafür bezahlen. „Das ist völlig diskrepant und macht nicht nur ökonomisch keinen Sinn, sondern am Ende auch keinen Spaß mehr.“
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