Rothenfels

Märchen aus der Burg-Apotheke Maria Hendrischke, 18.10.2015 08:52 Uhr

Berlin - 

Roswita Harms hat einen ungewöhnlichen Berufswechsel hinter sich. Die medizinisch-technische Assistentin (MTA) ist seit 2002 Märchenerzählerin. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie die ehemalige Burg-Apotheke im bayerischen Rothenfels renoviert. In den einstigen Verkaufsraum lud sie am Samstag zur Märchenstunde.

Harms hat eine Märchenerzähler-Ausbildung mit anschließender Prüfung gemacht. Sie gehört zur Gilde der europäischen Märchenerzähler. Die Prüfung bestand aus zwei Teilen, einem praktischen Märchenabend, den die Erzählerin selbst organisieren musste, sowie einem theoretischen Test. Dabei wurde Märchentheorie abgefragt: „Wir müssen verschiedene Märchenarten kennen und auch die Symbole, die in Märchen verwendet werden.“ Harms erzählt etwa in Kindergärten oder auf Feiern professionell Geschichten.

2012 haben sie und ihr Mann das Apothekengebäude gekauft, das Anfang des 18. Jahrhunderts gebaut wurde. Seither haben sie viel renovieren müssen: „Wir mussten eine neue Heizung einbauen, es gab noch einen Nachtstromspeicherofen. Dann gab es einen Wasserrohrbruch, den wir bemerkt haben, weil eine Wand immer feucht war“, zählt Harms auf.

Dass die beiden nun in einer Apotheke wohnen, war mehr oder weniger Zufall. Harms stammt aus Franken. Für die Arbeit ihres Mannes, einen Luft- und Raumfahrtarzt, seien sie damals nach Nordrhein-Westfalen umgezogen. „Dort haben wir immer noch Freunde und ich viele Aufträge, deswegen ist dort weiterhin unser Hauptwohnsitz“, erklärt sie. Doch sie wollte in ihre Heimat zurück.

Sie hätten sich daher im Internet nach geeigneten Häusern in der Region umgesehen und stießen dabei auf die ehemalige Apotheke „Eigentlich ist das Gebäude viel zu groß“, sagt Harms über das dreigeschossige Haus mit dem ausladenden Speicher. „Aber wir waren beide so begeistert von dem schönen Haus und fanden es romantisch, in der alten Apotheke zu wohnen.“

„Wir haben draußen das Wappen und den Schriftzug stehen gelassen“, berichtet sie. Auch drinnen seien noch deutliche Hinweise auf die ehemalige Funktion des Gebäudes zu erkennen: Alte Apothekenschränke stehen noch in der Offizin. Die sollen auch dort bleiben, so Harms. „Theoretisch könnte man hier jederzeit wieder eine Apotheke eröffnen, denn auf das Gebäude gilt noch die Apothekengerechtigkeit“, sagt sie augenzwinkernd.

Es besteht eine Verbindung zwischen Apotheken und Märchenerzählungen: „Heilkräuter haben in vielen Märchen eine zentrale Bedeutung“, weiß Harms. Das bekannteste Beispiel dafür sei die Geschichte von Rapunzel. Dabei löst das Verlangen nach dem vitaminreichen Feldsalat eine ganze Kette von unheilvollen Ereignissen aus.

Am Samstag hat sie erstmals einen Erzählabend in ihrem neuen Heim veranstaltet. Dazu hat sie den Verkaufsraum besonders dekoriert. Überall stehen Kerzen, außerdem hat Harms eine Feuerschale aufgebaut. Ein kaltes Buffet hatte sie für ihre Gäste ebenfalls vorbereitet; alles selbst gemacht.

Acht Märchen standen auf dem Programm; Harms hatte eine bunte Mischung zusammengestellt. Ein afghanisches Weisheitsmärchen wechselte sich etwa mit einer Liebeserzählung und einer gruseligen Geschichte ab.

Etwa 150 Märchen, Schwänke und Kurzgeschichten hat Harms insgesamt im Repertoire; fünf neue eignet sie sich pro Jahr an. Das Besondere: Sie lernt alle auswendig, damit sie frei vortragen kann. Dabei hält sie sich wortgenau an die Geschichte: „Ich mag das freie Interpretieren von Märchen nicht. Dabei fällt man zu leicht aus der Märchensprache.“