Therapiekonzept

Rheuma bei Kindern erkennen und behandeln

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Magdeburg/München -

An Rheuma erkranken nicht nur alte Leute, auch Kinder sind betroffen. Sie müssen unbedingt konsequent behandelt werden, sagen Experten. Bloß: Die Krankheit bei Kindern zu erkennen, ist nicht so einfach. Und auch die Therapie ist eine Herausforderung für die Familie.

Mario Habermann-Krebs hat auf seiner Brust eine Tätowierung. Sie zeigt seinen Sohn Richard, neunjährig auf der Zugspitze. Es war der Tag, an dem sein Kind das erste Mal wieder lachte. Richard erkrankte als Kleinkind an Rheuma. Es dauerte Jahre, bis er medikamentös so gut eingestellt war, dass an Ausflüge wie den mit der Seilbahn auf die Zugspitze überhaupt zu denken war. Ein harter Weg für die Familie. Aber einer, der sich gelohnt hat.

Ungefähr 20.000 Kinder in Deutschland haben eine rheumatische Erkrankung. Den meisten können Ärzte mit einer sorgfältig ausgewählten Therapie gut helfen. „Die Zeiten, in denen viele irgendwann im Rollstuhl saßen, sind zum Glück vorbei“, sagt Philipp Schoof, niedergelassener Kinderrheumatologe in München. „Uns stehen heute hervorragende Medikamente zur Verfügung.“ Das Problem ist: Rheuma wird bei Kindern nicht immer gleich erkannt. Bei Richard Habermann zum Beispiel entzündeten sich die Kniegelenke zum ersten Mal, als er gerade zwei geworden war. „Er hat aber nie geschrien oder geweint“, erzählt der Vater. Stattdessen zog sich das Kind immer mehr zurück. „Er wurde ganz ruhig, wirkte in sich gekehrt – und er hat niemals gelacht.“ Dann hörte er einfach auf zu laufen und rutschte nur noch auf dem Hintern herum.

Ein solcher Verlauf ist typisch. „Rheumakinder sagen oft nicht, dass sie Schmerzen haben“, erklärt Professorin Kirsten Minden, Spezialistin für Rheuma bei Kindern von der Charité Universitätsmedizin Berlin. Aber sie ändern häufig ihr Verhalten. Sie mögen nicht mehr laufen. Oder haben Anlaufschwierigkeiten am Morgen – brauchen also erstmal eine halbe Stunde, um nach dem Aufstehen in die Gänge zu kommen. Recht bald zeigten sich dann in der Regel auch erste Entzündungen, sagt Minden. Oft zuerst an den Knien, so wie bei Richard Habermann. Auch das Handgelenk ist häufig betroffen. „Ganz oft schieben die Eltern das auf ein Trauma“, sagt Schoof.

Das Kind ist vor Wochen mal hingefallen und dann meinen sie, das Knie sei vielleicht deswegen rot und geschwollen. Bleiben solche Symptome aber länger als zwei Wochen, sollten Eltern immer den Kinderarzt darauf ansprechen. Läuft alles gut, überweist dieser mit Verdacht auf Rheuma in eine Praxis wie die von Philipp Schoof. Dort steht als erstes ein Gespräch mit den Eltern und eine gründliche körperliche Untersuchung an. Geschwollene Gelenke kann der Rheumatologe mit einem Ultraschallgerät untersuchen. „Meist ist spätestens dann klar, ob das Kind eine rheumatische Erkrankung hat oder nicht.“ Die häufigste Rheumaform im Kindesalter ist die sogenannte juvenile idiopathische Arthritis (JIA) – also Gelenkentzündungen unklarer Ursache. Dahinter steckt ein fehlgeleitetes Immunsystem. Eigentlich ist es dafür da, Krankheiten abzuwehren. Bei Rheumatikern wendet es sich fälschlicherweise gegen den eigenen Körper und verursacht grundlos Entzündungen.

Richard Habermann bekam nach der Diagnose erstmal ein entzündungshemmendes Schmerzmittel. „Manchmal hilft schon das allein“, sagt Schoof. Meist muss das Kind aber zusätzlich ein Medikament bekommen, dass das Immunsystem herunterregelt. Bei Kindern kommt als erstes fast immer Methotrexat zum Einsatz, kurz MTX. Schoof erlebt es in seiner Praxis sehr oft, dass Eltern auf diesen Vorschlag skeptisch reagieren. Verständlich: Medikamente wie MTX haben Nebenwirkungen. Die Entzündungen einzudämmen, sei aber unbedingt notwendig, betont Schoof.

„Die Kinder leiden. Sie zeigen das vielleicht nicht immer so wie wir uns das vorstellen. Aber nur, wenn die Entzündungen aufhören, kann sich ein Kind wieder normal entwickeln.“ MTX führt bei Kindern vor allem zu Übelkeit am nächsten Tag. Diese lasse sich aber beispielsweise mit Folsäure häufig gut behandeln, sagt Schoof. Seiner Ansicht nach ist es auch nicht nötig, für jede MTX-Gabe in die Praxis zu kommen. „Ich schule Eltern und Kind und zeige ihnen, wie sie das selbst spritzen können.“ So erhält die Familie ein Stück Freiheit zurück.

Dass sich eine frühzeitige und konsequente Therapie lohnt, betont auch Minden. Sie hat herausgefunden, dass sich dadurch bleibende Schäden vermeiden lassen. Bei drei von vier Kindern, die binnen sechs Wochen nach Ausbruch der Krankheit behandelt wurden, verschwinden die Beschwerden komplett. Manche brauchen als Erwachsene gar keine Medikamente mehr. Neben der richtigen medikamentösen Therapie sind allerdings noch ein paar andere Dinge wichtig: Krankengymnastik zum Beispiel.

„Rheumakinder sollen sich auf keinen Fall schonen“, betont Minden. Schoof empfiehlt auch Ergotherapie. Viele Betroffene haben bereits Schonhaltungen eingenommen, bevor die Behandlung beginnt. „Da muss man schauen, dass keine Fehlhaltung daraus wird“, sagt der Facharzt. Bedenken sollten Eltern außerdem, dass es nicht nur für sie, sondern auch für die Kinder ein schwerer Schlag ist, wenn sie von ihrer chronischen Krankheit erfahren. „Ich rate deshalb, wenigstens einmal zum Psychotherapeuten zu gehen und zu schauen, ob das Kind vielleicht Hilfe braucht.“

Mario Habermann-Krebs, selbst Elternsprecher des Landesverbands Sachsen-Anhalt in der Deutschen Rheuma-Liga, legt Eltern und Kindern auch Selbsthilfegruppen ans Herz. Sein Tipp: Gleich nach der Diagnose im Internet nach Gruppen vor Ort suchen. „Die Kids geben sich dort gegenseitig Tipps und wir Eltern tauschen uns auch über Fachliches aus.“ Das ist wichtig, sagt er, um Ärzten auf Augenhöhe zu begegnen. Bei seinem Sohn Richard zum Beispiel brauchte es mehrere Spezialisten – und Jahre –, bis die richtige Kombination aus Wirkstoffen gefunden war. „Ich rate Eltern, da wirklich hartnäckig zu bleiben und sich nicht mit damit abzufinden, dass das Kind immer noch ständig Schmerzen hat.“ Für ihn habe sich die Mühe jedenfalls gelohnt, sagt Habermann-Krebs. Und sei es nur für diesen unvergesslichen Moment, damals auf der Zugspitze, als sein Kind nach sieben Jahren das erste Mal wieder gelacht hat.

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