Streit über Notfallversorgung dpa, 28.02.2017 17:41 Uhr
Der Streit um die Versorgung von Notfallpatienten in Hessen ist zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern neu entflammt. Notfallmediziner der Kliniken warnen vor „einer akuten Gefahr für das Leben von Notfallpatienten“, wenn zum April eine Reform der Gebührenordnung in Kraft tritt. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) spricht von einer „dreisten und populistischen“ Angstmache. Die neue Gebührenordnung schaffe vielmehr Klarheit und regle die Modalitäten der Abrechnung.
Der Frankfurter Professor für Pflegemanagement, Thomas Busse, warnte davor, dass „gegenseitige Misstrauen“ auf dem Rücken der Patienten auszutragen und fordert KV und Krankenhäuser auf, zusammen über eine gemeinsame Finanzierung nachzudenken. Unterdessen hat das Sozialministerium mit der KV und der Krankenhausgesellschaft Gespräche zur Lösung des Konflikts vereinbart. Sie sollten noch im März beginnen, sagte ein Ministeriumssprecher heute.
Worum geht es? Mehrere Leiter von Klinik-Notaufnahmen warnen vor geplanten „Kurz-Checks“: Notfallpatienten, die nicht zwingend stationär aufgenommen werden müssen, „sollten innerhalb kürzester Zeit auf dem Wege einer sogenannten Sichtung erkannt und ohne jede genauere Diagnose und Behandlung weggeschickt und an niedergelassene Ärzte oder deren Notdienst verwiesen werden“, kritisieren sie in einer Mitteilung. Sie sehen „Gefahren für Gesundheit und Leben der Notfallpatienten“ und wollen die Einzelheiten ihrer Kritik am Mittwoch in Offenbach erläutern.
Die KV hat dafür kein Verständnis: „Das, was für qualifizierte Haus- und Fachärzte Alltagsgeschäft ist, nämlich innerhalb von Minuten zu entscheiden, ob Leib und Leben in Gefahr sind, sollte den Krankenhäusern doch eigentlich auch möglich sein.“ Die Kassenärzte sprechen von Versuchen, die Kliniken in ihrem Existenzkampf „durch Quersubventionierungen aus den ambulanten Honorartöpfen künstlich am Leben zu erhalten“.
Nach einer Entscheidung auf Bundesebene sollen die Klinikärzte eine Notfallpauschale von 4,73 Euro für die Erstbegutachtung bekommen, wie der Sprecher des Sozialministeriums erläuterte. Dies sei nach Einschätzung von Ärzten und des Ministeriums zu wenig. Andererseits sei die ambulante Notfallversorgung bundesweit in die Diskussion gekommen, weil immer mehr Patienten direkt in die Krankenhäuser gingen und nicht in die Zentralen des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes (ÄBD). Sinnvoll sei es daher, die ÄBD-Zentren an den Krankenhäusern anzusiedeln, was in Hessen bereits zum großen Wirklichkeit sei.
Ärztlicher Notdienst und Notfallambulanz in einem Haus – das ist auch aus Sicht der Verbraucherzentrale Hessen sinnvoll. Viele, die mit ihren Beschwerden direkt in die Notaufnahme gingen, gehörten dort nicht hin, sagte Patientenberaterin Daniela Hubloher. Diese Überlastung gehe auch zu Lasten der Behandlung wirklicher Notfälle, gab die Medizinerin zu Bedenken. Schwierig sei es allerdings, die Patienten mit echten oder vermeintlich leichten Beschwerden einfach wegzuschicken, kritisierte Hubloher. „Gerade, wenn sie im Zweifel quer durch die Stadt fahren müssen oder an einen Arzt verwiesen werden, der gar keinen Termin hat.“
Wissenschaftler Busse stellt fest: Die meisten Patienten gehen am liebsten in die Klinik, was diese finanziell (Kosten pro Patient etwa 120 Euro, Erlös rund 30 Euro) und organisatorisch jedoch überfordere. „Wir brauchen daher dringend ein gesteuertes System – eine zentrale Anlaufstelle, die die Patienten je nach Schweregrad verteilt beziehungsweise weiterleitet.» Als Steuerungsstandort böten sich die Krankenhäuser an, „alleine um bei schweren Notfällen keine Zeit zu verlieren“.
Die Finanzierung dieses Modells müsste aber gerecht verteilt werden und sowohl von der KV als auch von den Krankenhäusern getragen werden. Entscheidend sei zudem eine objektive Verteilung der Patienten. „Und hier traut wie so oft der eine dem anderen nicht über den Weg.“