Raumfahrt

Apotheke im Weltall Julia Pradel, 08.11.2015 11:04 Uhr

Berlin - 

Arzneimittel für die Landbevölkerung hin, Medikamente für die Bundeswehr her – für niemanden ist die nächste Apotheke so weit entfernt wie für Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS. Doch auch ihre Versorgung ist dank Bordapotheke gesichert.

Medikamente gegen Übelkeit, Schmerzen und Schlafstörungen werden im Weltall besonders gebraucht. „Die typischen Beschwerden werden durch die Schwerelosigkeit verursacht“, erklärt Dr. Claudia Stern vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Ärztin betreut seit einigen Jahren im Flugmedizinischen Center europäische Astronauten.

Viele Astronauten leiden laut Stern bei ihrem ersten Flug an der Raumkrankheit, dem Space Adaption Syndrome. Ähnlich wie die Seekrankheit wird es durch eine Störung des Gleichgewichtsorgans verursacht und ist mit Übelkeit und Erbrechen verbunden. Relativ häufig sind der Medizinerin zufolge auch Schmerzen, etwa für die Wirbelsäule, die sich ohne Schwerkraft streckt, oder für die Gelenke – immerhin machen die Astronauten zwei Stunden am Tag Sport. Am Anfang sind auch Kopfschmerzen üblich, da den Astronauten Flüssigkeit in den Kopf steigt. „Wir sprechen dann von einem ‚Puffy Face‘“, so Stern.

Es ist sehr teuer, etwas auf die ISS zu bringen. Deshalb sind die Vorräte groß: Die Arzneimittel auf der Raumstation reichen für mindestens ein halbes Jahr. Und lange bevor sich der Vorrat zum Ende neigt, wird er wieder aufgefüllt – sodass es selbst dann genügend Medikamente gibt, wenn mal ein Transport schief geht. „Bislang waren etwa 200 Astronauten auf der ISS, manche brauchten gar keine Arzneimittel, andere etwas mehr“, so Stern. Inzwischen habe man die nötigen Erfahrungswerte, um zu wissen, was in welchen Mengen gebraucht werde.

Was die eingesetzten Medikamente betrifft, lassen sich die Raumfahrtbehörden auf keine Diskussion ein: Die Liste der Arzneimittel auf der ISS wird nicht veröffentlicht. Klassische Medikamente, die zum Einsatz kommen, sind laut Stern etwa Paracetamol und Ibuprofen. „Auch Antibiotika sind an Bord, denn das Immunsystem ist reduziert und theoretisch gibt es schon die Möglichkeit einer bakteriellen Infektion, etwa bei einem Harnverhalt“, erklärt Stern. „Das kann man nie ausschließen.“

Notfallmedikamente sind natürlich auch dabei: „Für viele Eventualitäten ist etwas da, etwa auch Steroide oder ein Lokalanästhetikum für kleinere Eingriffe“, so Stern. Im Notfall müssen sich die Astronauten selber helfen, angeleitet von einem zugeschalteten Arzt. Dafür erhalten die Astronauten eine kleine medizinische Ausbildung. „Sie müssen etwa eine Platzwunde nähen oder klammern, denn das kann immer mal passieren.“

Größere Eingriffe gab es Stern zufolge glücklicherweise aber noch nie. Theoretisch ist es sogar möglich, einen Astronauten im Notfall innerhalb von 24 Stunden wieder auf die Erde zu bringen – auch das war aber noch nicht nötig.

Wie genau die Bordapotheke bestückt ist, hängt auch von den Astronauten und ihren Fliegerärzten ab. „Die US-Amerikaner probieren beispielsweise vor der Mission aus, welches Schlafmittel am besten wirkt“, so Stern. Generell machten sich Unterschiede aber weniger bei den einzelnen Nationen bemerkbar, sondern eher beim Astronauten. Im Vorfeld wird auch besprochen, welche speziellen Arzneimittel er braucht.

Jeder Astronaut hat seinen eigenen Fliegerarzt, der ihn vor, während und nach dem Flug betreut. Wenn sich die Astronauten auf der ISS befinden, finden regelmäßig – normalerweise wöchentlich – sogenannte „Private Medical Conferences“ zwischen ihnen und ihrem Arzt statt. Während sonst generell Englisch gesprochen wird, können sich Astronaut und Arzt bei diesen privaten Unterredungen auch in ihrer Landessprache unterhalten – vorausgesetzt, es ist dieselbe. Abgesehen davon gibt es auch einen direkten Draht: „Inzwischen können Astronauten sogar mit dem Handy ihren Fliegerarzt auf der Erde anrufen“, berichtet Stern.

Ein besonders heikles Thema ist der Datenschutz: Denn einerseits sind die Astronauten aufeinander angewiesen, andererseits ist die Privatsphäre für sie besonders wichtig – „schließlich haben sie Angst, dass ihre medizinischen Daten in die Öffentlichkeit gelangen und dies einen negativen Einfluß auf zukünftige Missionen haben könnte“, erklärt Stern. Bevor ein Astronaut ins All dürfe, müssten alle an der Mission beteiligten Raumfahrtagenturen ihr Go geben. „Vor dem Start gibt es daher eine medizinische Konferenz, bei der je ein Arzt der jeweiligen Raumfahrtagentur vertreten ist.“ Der Kreis der einbezogenen Personen werde somit relativ klein gehalten.

Als ärztliche Direktorin des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR untersucht Stern die Astronauten einmal jährlich auf Tauglichkeit und auch die Langzeitfolgen der Flüge. Negative Folgen kann sie nicht feststellen: „Die meisten Astronauten sind medizinisch gut versorgt und optimal betreut.“