„Nicht alles schlucken“

Psychopharmakino

, Uhr
Berlin -

Die Zahl der Krankschreibungen wegen psychischer Störungen wie Depressionen steigt jährlich. Laut Arzneiverordnungsreport stiegen die Verordnungen von Psychopharmaka in den Jahren 2004 bis 2013 auf mehr als das Doppelte an: Während 2013 bereits rund 1,3 Milliarden Tagesdosen Antidepressiva verordnet wurden, waren es zehn Jahre zuvor nur 643 Millionen. Jetzt ist ein Kinofilm angelaufen, der sich genau damit auseinandersetzt. „Nicht alles schlucken“ zeigt 20 Menschen, die von ihren persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Psychopharmaka erzählen.

Der knapp 90-minütige Dokumentarfilm versammelt 20 Betroffene, Angehörige, Ärzte und Pfleger in einem eigens für den Film geschaffenen Raum. Die Protagonisten sitzen in einem großen Stuhlkreis und berichten von meist problematischen Medikamenten-Erfahrungen und erfolglosen Therapieansätzen.

Ein Patient sagt: „Das Fatale, was ich bei den Medikamenten sehe, ist die Botschaft. Du bist falsch, da ist was in dir defekt, das müssen wir jetzt ändern.“ Eine Angehörige erzählt: „Ich verlor den Boden unter den Füßen. Die Angst, springt er aus dem Fenster. Die Hilflosigkeit. Erst als er in der Klinik war, konnte ich mich beruhigen.“ Ein Arzt berichtet: „Ich gerate da schnell unter Handlungsdruck. Ich bin der Arzt und muss, ja, behandeln, den Menschen "funktionsfähig" machen. Ich liebe meinen Beruf. Und jetzt im 4. Ausbildungsjahr bin ich viel vorsichtiger mit den Medikamenten geworden. Gespräche stehen für mich jetzt im Vordergrund.“

Piet Stolz, selbst Psychotherapeut und Psychiater, hat in der anderthalbstündigen Produktion Regie geführt. Co-Regisseurin war die Fernsehautorin Jana Kalms, Kameramann war Sebastian Winkels.

Stolz sagt, zu Beginn seiner Ausbildung zum Nervenarzt habe er die „Kälte psychiatrischer Medikamentenmacht“ als unabänderlich hingenommen: „Beschämt habe ich sie mitgetragen und auf die ruhig stellende Wirkung von Psychopharmaka gesetzt.“

Erst durch Psychoseseminare sei er mit den Sorgen und Wünschen der Patienten vertraut geworden. Die Form des Trialogforums wählte er daher bewusst für seinen Film. Trialogforen gibt es in mehr als 120 deutschen Städten. Hier kommen psychoseerfahrene Menschen, Angehörige und psychiatrische Fachkräfte miteinander ins Gespräch. In „Nicht alles schlucken“ ist das Trialogforum der Rahmen, in dem die gesamte Handlung stattfindet.

Die Welturaufführung fand Anfang Mai in München statt. Seit dem 28. Mai läuft der Film in ausgewählten Kinos im Bundesgebiet.

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