Bis zu 35 Prozent der Patienten mit Lymphdrüsenkrebs, die nach intensiver Behandlung geheilt sind, klagen in den nachfolgenden Jahren über finanzielle Probleme. Das geht aus einer bislang unveröffentlichten Studie der German Hodkin Study Group mit 1000 Patienten hervor, die das ARD-Magazin „Report Mainz“ am Dienstagabend vorgestellt hat.
Die Ergebnisse wurden exklusiv im TV-Beitrag vorgestellt; eine weitere Langzeitstudie mit Brustkrebspatientinnen hat ergeben, dass in der Gruppe ab 65 Jahren in rund 25 Prozent der Fälle finanzielle Probleme besonders häufig auftreten. Allerdings leiden auch die jüngeren Patienten von 18 bis 49 Jahren dreimal häufiger unter finanziellen Engpässen als ihre gesunden Altersgenossen.
Der führende Onkologe Professor Dr. Bernhard Wörmann von der Charité nennt die Entwicklung alarmierend. Kaum jemand spreche darüber, es sei ein Tabuthema: „Wenn wir Zahlen sehen, dass ein Viertel bis ein Drittel der Patienten Jahre nach einer Krebserkrankung unter finanziellen Problemen leiden, dann ist das ein riesiges Problem. Das wird so nicht wahrgenommen“, sagte er im Interview mit Report Mainz.
Das sei eine sehr eigene belastende Dimension für Patienten: „Wir sehen, dass Patienten manchmal sogar durch die finanziellen Probleme kurzzeitig stärker belastet sind als durch die Krankheit selbst. Die Sorge, wie es der Familie weitergeht, wie man selbst über die Runden kommt, überlagert dann das Problem, was wir für wichtiger halten, nämlich des Gesundwerdens.“
Report Mainz hat mehrere krebskranke Patienten nach ihren Einkommensverlusten befragt: Ein 48-jähriger Diplomingenieur, der an Hautkrebs erkrankte, erhält jetzt 1500 Euro beziehungsweise 25 Prozent weniger als vor der Diagnose. Wenn jetzt sein Krankengeld ausläuft, droht ihm unter Umständen eine Erwerbsminderungsrente. Die beträgt im Durchschnitt 719 Euro.
Ein 63-jähriger ehemaliger Betriebsleiter einer Matratzenmanufaktur, erkrankt am Bauchspeicheldrüsenkrebs, wurde schon nach vier Monaten berentet und hat jetzt im Monat 500 Euro weniger zur Verfügung. Besonders betroffen von solchen finanziellen Einschnitten sind Selbstständige. Ein 60 Jahre alter Tischler mit kleiner Firma, erkrankt am chronischen Blutkrebs, erhält 700 Euro weniger, was einem Minus von 70 Prozent seines Einkommens entspricht.
Das Problem der Verarmung von Krebspatienten sei relativ neu und entstehe aus einer eigentlich sehr „erfreulichen Entwicklung“, sagt der Chefarzt Dr. Ulf Seifart von der Reha-Klinik Sonnenblick in Marburg: „Patienten können in einem zunehmenden Maße ihre Krebserkrankung ganz überleben und dadurch Probleme entwickeln, die wir viele Jahre gar nicht gesehen haben und auf die wir uns vom Gesundheitssystem her auch erst einmal einstellen müssen.“
Verarmten Krebspatienten könnte mit relativ einfachen Maßnahmen sehr wirkungsvoll geholfen werden, meinen Onkologen und Reha-Mediziner. Bis zu 78 Wochen können Patienten Krankengeld erhalten. Der tatsächliche Bezug ist meist sehr viel kürzer, weil auf diese Dauer Reha- und Wiedereingliederungszeiten in den Arbeitsmarkt mit angerechnet werden. Hinzu kommt, dass diese Regelung von 78 Wochen völlig starr gehandhabt wird. Eine längere Bezugsdauer von Krankengeld würde schon helfen: „Das wäre ein sehr guter Ansatz. Und gerade bei so langwierigen Therapieverläufen würde es den Patienten helfen, wenn das Krankengeld dann etwas länger gezahlt würde“, so Seifart gegenüber Report Mainz.
Eine weitere Lösungsmöglichkeit bestünde im Ausbau einer unabhängigen Beratung für die Patienten. Gegenwärtig werden sie beraten von Krankenkassen, Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit. Alle diese sozialen Sicherungssysteme haben ihre eigenen finanziellen Interessen, die oftmals konträr sein können zu denen der Patienten.
Deshalb müsse es für sie einen unabhängigen Berater geben: „Ein unabhängiger Lotse ist genau das, aber es muss ein qualifizierter Lotse sein und es muss dafür auch ein bestimmtes Curriculum da sein, was so ein Lotse leisten muss, wissen muss und dem Patienten auch liefern muss. Wichtig ist, dass es eine objektive und hochqualifizierte sozialmedizinische Beratung gibt“, meint Wörmann.
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