Prärie-Apotheken: Lauterbach auf Studienreise Katharina Brand, 27.01.2024 08:12 Uhr
Die Prärie. Das Gefühl unendlicher Weite. Trockenes Gras. Ein Steppenläufer weht im Hintergrund quälend langsam durch die Landschaft, weiter vorne sind drei Personen in ein Gespräch vertieft: Sheriff Karl „Badlands“ Lauterbach, Marshal Matthias Mieves und Cowgirl Paula Piechotta. Ihre gemeinsame Mission ist die Revolutionierung des deutschen Gesundheitssystems. Nur: Wo sind die Apotheken hier überhaupt?
North Dakota, US-Bundesstaat an der Grenze zu Kanada: 180.000 Quadratkilometer gähnende Leere. Die „Great Plains“, die „Großen Ebenen“, sind die klassischen Kurzgras-Prärien, in die es Lauterbach verschlagen hat. Nichts, aber auch gar nichts außer trockenem Gras und den in der ferne anmutenden Hängen der Badlands, trockenen, steinigen Landstrichen mit verwitterten Gesteinen und von Trockenheit aufgebrochenen Böden, ist hier zu finden. Dabei ist er doch auf einer dringlichen Suche nach Ideen für das deutsche Gesundheitssystem. Er kann doch nicht mit leeren Händen zurück nach Hause kommen!
Zu Pferd reist die Delegation weiter. Lauterbachs Gedanken kreisen immerwährend um die Zukunft der heimischen Gesundheitsversorgung. Irgendwo hier, im unendlichen North Dakota, muss die Antwort doch zu finden sein. Lauterbach hat in Texas und Arizona studiert und in den 90ern ein Jahr als Fellow in Harvard verbracht. Hier entstanden viele gute, nein, großartige Ideen, wieso nicht auch eine, die er mit nach Deutschland bringen kann?
Nach stundenlangem Ritt durch die endlose Einsamkeit stoppt der kleine Trupp. Am Rand des Weges bildet eine Handvoll Häuser ein kleines Örtchen. „Pharmacy“ steht an dem Gebäude, vor dem sie stehen. Ob er hier Antworten finden wird? Er steigt ab, rückt seinen Cowboyhut zurecht und betritt das Ladenlokal.
Rezeptkontrolle aus der Ferne
Es ist nur eine arbeitende Person anwesend. Eine! Er fragt, ob sie die ansässige Apothekerin sei: die Frau verneint. Kurzum lässt sich Lauterbach das Konzept erklären und kann sein Glück kaum fassen: Hier können Apotheken ohne Apotheker betrieben werden! Ganz legal! Rezeptkontrolle aus der Ferne, alles via Internet, Dokumentenkamera und so weiter! Lauterbach schickt ein freundliches Howdy zum Apotheker in die Kamera und eilt zu seinem Pferd zurück. Mission complete, zurück nach Hause!
Nicht dass man diesen Text falsch versteht: North Dakota hat ein in den USA einzigartiges Apothekenwesen – keine Ketten, alles inhabergeführt und heilberuflich organisiert. Und mit den Remote-Filialen kann tatsächlich die Versorgung gesichert werden, wo sonst gar keine Struktur mehr wäre. Aber mit vier Einwohnern pro Quadratkilometer ist der US-Staat eben nicht ganz so leicht mit Deutschland zu vergleichen, wo sich auf derselben Fläche immerhin 236 potenzielle Patientinnen und Patienten tummeln.
Aber das weiß Karl Lauterbach womöglich nicht. Er kommt aus Leverkusen und lebt in Berlin, in den dünn besiedelten Regionen Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns war er noch nie, von der Sächsischen Schweiz und dem Thüringener Wald hat ihm der Personenschutz abgeraten. Aber so ähnlich wie North Dakota stellt er sich die deutsche Provinz wohl vor, und so nehmen die Dinge ihren Lauf.
„Pharmacy desert“ und „Medication kiosk“
Zu Telepharmazie, so der wissenschaftliche Fachbegriff, der etwas positiver als Light-, Pseudo- oder Schrumpfapotheke klingt, gibt es sogar schon Studien. Vor allem in den USA und in Afrika wird das Konzept erprobt. Auffällig oft tauchen in den Publikationen als Schlagworte die Begriffe „Pharmacy desert“ und „Medication kiosk“ auf. Na wenn das kein Zufall ist!
Wobei auch hierzulande alles darauf hinausläuft, dass man irgendwann von Apothekenwüsten sprechen kann. Die Bilanz der letzten 15 Jahre: 4000 Apotheken weniger, jeder fünfte Betrieb hat seit 2008 dicht gemacht. Die Zahl der Selbstständigen ist sogar um 5800 beziehungsweise 31 Prozent gesunken. Ein Ende ist nicht in Sicht – im Gegenteil: So stark wie im vergangenen Jahr gesunken ist die Zahl der Apotheken noch nie.
Statt sich aber mit einer massiven Kampagne gegen die neuen Apothekenvernichtungspläne Lauterbachs zu wehren, setzt die Abda erst einmal auf Nachwuchsgewinnung. „How to sell drugs (offline) fast“ lautet das Motto der Aktion, an der sich möglichst viele Apotheken beteiligen sollen. Die winken reihenweise ab – weil sie finden, dass die Kampagne falsche Werte vermittelt, falsche Versprechen macht, die falsche Zielgruppe anspricht oder zum völlig falschen Zeitpunkt kommt oder alles zusammen.
Wir hätten da noch eine Idee für eine cineastische Anleihe: „Fargo – Blutiger Schnee“. Handelt auch von Verbrechern und ist ein Klassiker des schrägen Humors. Und das Beste: Spielt in North Dakota. Könnte man also für Nachwuchs- und Protestkampagne in einem nutzen. Nur das mit dem Schredder muss man vielleicht noch erklären. Aber da fällt der Agentur bestimmt was ein. Schönes Wochenende!