Versandhandel als Risiko

Potenzmittel im Internet – hilft ein OTC-Switch? Lilith Teusch, 18.11.2024 12:48 Uhr

Im Rahmen der Aktion „Pangea“ jagen Ermittler immer wieder die Betreiber illegaler Webshops. Foto: Interpol
Berlin - 

Der Schwarzmarkt für verschreibungspflichtige Medikamente boomt nach wie vor. Mit einer einfachen Google-Suche können Patienten leicht auf Webseiten stoßen, die inbesondere Lifestylepräparate illegal und ohne Rezept verkaufen. Eine neue Studie hat im Auftrag von Viatris das illegale Angebot rezeptpflichtiger Medikamente zur Behandlung von erektiler Dysfunktion untersucht.

Wie ein potenzieller Kunde habe man Anfragen über verschiedene Suchmaschinen geschickt und automatisch die relevanten Internetangebote erfasst, erklärt Professor Dr. Martin Steinebach, Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut. Diese wurden dann dahingehend geprüft, ob sie tatsächlich rezeptpflichtige Medikamente zur Behandlung von erektiler Dysfunktion anbieten. Solche Präparate gehörten weiterhin zu den am häufigsten gefälschten Produkten. Aufgrund der schambesetzten Thematik neigten viele Betroffene dazu, diese Medikamente über unsichere Kanäle zu beziehen.

Komplexe Rechtslage

„Die Rechtslage zum Versandhandel mit Arzneimitteln ist in Deutschland sehr komplex“, erklärt der Rechtswissenschaftler Professor Dr. Arndt Sinn. Zulässiger Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland sei an bestimmte Voraussetzungen gebunden, unter anderem an das Vorliegen einer Versandhandelserlaubnis für Apotheker mit deutscher Approbation und Inhaber einer Apothekenbetriebserlaubnis sowie an den entsprechenden Eintrag im Versandhandelsregister zusammen mit allen Identifikatoren jedes eingeschlossenen Internetportals.

Das Internetportal selbst müsse unter anderem Angaben zur zuständigen Behörde machen, eine Verbindung zum Internetportal des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) haben und das gemeinsame Versandhandelslogo tragen, das die Berechtigung zum Versandhandel nach dem jeweiligen nationalen Recht bestätige, erklärt Sinn. Bei Sitz der Apotheke außerhalb der EU beziehungsweise des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) sei der Versandhandel nach Deutschland unzulässig.

Rund 90 auffällige Shops

Insgesamt konnten in der Studie 89 auffällige Online-Shops – auf den deutschen Sprachraum begrenzt – identifiziert werden, die weder im Versandhandelsregister eingetragen waren, noch das EU-Versandhandelslogo mit Verlinkung in das Register führten. 82 davon boten dennoch rezeptpflichtige Medikamente zum Versand in Deutschland an. 67 Plattformen verlangten kein Rezept.

Bei 15 Anbietern würden verschiedene Verfahren zur Rezeptausstellung angewendet, zum Beispiel mittels einer Videokonsultation mit anschließender Ausstellung eines Rezepts. Nur ein Anbieter habe aber klar ausgeführt, dass ein Rezept eingereicht werden müsse, möglicherweise wurde schlicht bei der Eintragung im Versandhandelsregister schlampig gearbeitet.

Der größte Teil der Shops werde in Ländern außerhalb der EU gehostet, mit 52 Shops am meisten in den USA. 21 Shops waren in der EU ansässig, nur 12 in Deutschland.

„Die Kurzstudie lässt den Schluss zu, dass die mit der Fälschungsrichtlinie verbundene Hoffnung, illegale Angebote im Internet durch die im Online-Versandhandel obligatorisch gewordenen Sicherheitsmerkmale zurückzudrängen, sich nicht erfüllt hat“, bewerten die Autoren.

Risiko für die Patientensicherheit

„Wie alle Themen rund um die Patientensicherheit muss auch dieses Thema in die öffentliche Diskussion getragen werden“, erklärt Kira Tosberg, wissenschaftliche Vorstandsreferentin des Aktionsbündnis Patientensicherheit. Laut Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erleiden rund 10 Prozent aller Patienten weltweit jährlich Behandlungsfehler, von denen etwa die Hälfte vermeidbar wären.

Arzneimitteltherapiefehler machten hierbei einen Anteil von 25 Prozent aus. „Zu viel genommen, zu wenig genommen oder das falsche Medikament – Fehler können hier schnell lebensgefährlich werden und nicht selten zur Krankenhauseinweisung führen“, warnt Tosberg. Gerade im Bereich der OTC-Medikamente sei die Apotheke das einzige Sicherungsnetz, da der Patient eben nicht zuvor ein ärztliches Rezept brauche. „Daher müssen wir die Gesundheitskompetenzen in Deutschland stärken und für die Risiken sensibilisieren“, appelliert sie.

Von Verschreibungs- in die Apothekenpflicht

Um den illegalen Kauf unattraktiver zu machen, schlägt Dr. Elmar Kroth, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes Pharma Deutschland, einen OTC-Switch von PDE-5-Hemmern vor. Dies würde nicht nur den illegalen Markt eindämmen, sondern auch die Beratungskompetenz der Apotheken stärken.

„Wir bringen Produkte nicht in den Supermarkt, sondern in die Apotheke“, betont er. In Ländern wie der Schweiz und Polen gibt es bereits positive Erfahrungen. „Im Sinne der Patientensicherheit ist uns die Selbstmedikation mit einer Beratung durch Arzt oder Apotheker und die Wahrung der Apothekenpflicht ein besonderes Anliegen”, argumentiert er. Die Sorge, dass eine Auflösung der Verschreibungspflicht den Versandhandel befeuern könnte, sieht er nicht. Auch in anderen Ländern habe sich hier keine Stärkung des Versandhandels gezeigt.

Zugang zu Therapiemöglichkeiten

„Die Ergebnisse dieser Graumarktstudie zeigen das hohe Gefährdungspotenzial auf, dem Männer mit erektiler Dysfunktion ausgesetzt sind, wenn sie entsprechende Medikamente über dubiose Kanäle besorgen“, so Simon von Boeselager, Deutschlandchef von Viatris. „Deshalb ist es schon aus Gründen der Patientensicherheit von großer Bedeutung, Betroffenen mit einer erektilen Dysfunktion zu einem leichteren Zugang zur Behandlung zu verhelfen. Einer der Wege dahin kann der OTC-Switch sein, womit Patienten die Medikation niedrigschwellig in der Vor-Ort-Apotheke ihres Vertrauens erwerben können und dabei zusätzlich noch von der dortigen Beratungskompetenz profitieren.“