Protest gegen Abtreibungsgesetz Eva Krafczyk, dpa, 09.04.2016 16:50 Uhr
In mehreren Städten Polens demonstrieren Tausende gegen eine Gesetzesinitiative, die ein totales Abtreibungsverbot vorsieht. Mütter und Töchter, Großmütter und Enkelinnen sind vor dem polnischen Parlament in Warschau zusammen gekommen. Besonders groß ist der Anteil der jungen Frauen. Sie kommen aus verschiedenen politischen Lagern, sind aber geeint in der Sorge vor einem totalen Abtreibungsverbot.
„Das Gesetz, das uns das Recht auf eine eigene Entscheidung nehmen will, versucht uns zu Brutkästen zu machen“, sagt Joanna Augustynowska, Abgeordnete der liberalkonservativen Oppositionspartei Nowoczesna. „Eine Abtreibung ist immer eine Entscheidung, kein Muss“, ruft eine Rednerin des Bündnisses „Mädel für Mädels“ in die Menge. „Aber eine Geburt unter so einem Gesetz ist immer ein Zwang.“ Eine junge Frau hält ein Plakat hoch: „Wenn ihr uns mit dieser Entscheidung nicht traut: Wie könnt ihr uns mit einem Kind trauen?“
Das Gesetz, gegen das die Frauen und Männer demonstrieren, wurde von einer Bürgerinitiative ins Parlament eingebracht. Nach polnischem Recht ist das möglich, wenn eine „gesetzgebende Initiative“ innerhalb von drei Monaten mindestens 100.000 Unterschriften von Unterstützern zusammen bekommt. Der Entwurf, der demnächst im Parlament diskutiert werden soll, sieht ein völliges Verbot von Abtreibung vor. Auch die katholischen Bischöfe erneuerten ihren Aufruf, jedes Leben „vom Moment der Empfängnis an“ gesetzlich zu schützen.
Bisher ist in Polen ein Schwangerschaftsabbruch nach einer Vergewaltigung, bei Gefahr für das Leben der Mutter oder einer schweren Behinderung des Kindes möglich. „Dieses Gesetz ist kein Kompromiss, sondern eine Kompromittierung“, ruft eine Demonstrantin wütend.
Nach offiziellen Angaben wurden in Polen im vergangenen Jahr mehr als 900 Abtreibungen vorgenommen. Doch die tatsächliche Zahl der Abtreibungen wird auf 80.000 bis 100.000 geschätzt. Wer es sich leisten kann, lässt den Abbruch in einer Klinik im Ausland vornehmen, etwa in Deutschland, der Slowakei oder auch der Ukraine. Den anderen bleibt nur der „Abtreibungs-Untergrund“; medizinisch oft riskant und voller Angst vor Strafverfolgung. „Kein Gesetz der Welt kann eine Frau, die eine Abtreibung will, davon abhalten“, sagt eine der Demonstrantinnen in Warschau.
Die Linkspolitikerin und ehemalige Vizeparlamentschefin Wanda Nowicka, die schon 2002 vergeblich einen Gesetzentwurf zur Liberalisierung des geltenden Abtreibungsrechts ins Parlament einbrachte, sieht die Lage bedrohlich: „Erstmals seit Jahren besteht eine wirkliche Bedrohung, dass dieses Gesetz eine Mehrheit im Parlament findet.“
Nowicka, eine Veteranin der polnischen Frauenbewegung, sammelt nun mit anderen Politikerinnen Unterschriften für eine weitere Gesetzesinitiative, die eine Liberalisierung des geltenden Rechts anstrebt. Sieht sie echte Chancen dafür? „Ich hoffe, dass dann das derzeitige Gesetz wenigstens als Kompromiss zwischen totalem Verbot und Liberalisierung aufrecht erhalten wird“, sagt sie pragmatisch am Rand der Demonstration.
Die nationalkonservative Regierungschefin Beata Szydlo hat bereits gesagt, dass sie persönlich ein Abtreibungsverbot befürworte. Bei der Abstimmung über eine solche „Gewissensfrage“ werde es in der mit absoluter Mehrheit regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) allerdings keinen Fraktionszwang geben.
Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski hingegen, auch ohne Regierungsamt der eigentliche starke Mann in Polen, zeigte sich bereits Ende März überzeugt, dass die „überwiegende Mehrheit, wenn nicht alle“ der PiS-Abgeordneten für das Gesetz stimmen würden. Auch aus der rechtskonservativen Oppositionspartei Kukiz15 gibt es entsprechende Signale.
Für Kornelia Wroblewska ist es als gläubige Katholikin ausgeschlossen, sich zu einer Abtreibung zu entschließen. „Ich habe viel darüber nachgedacht, wie ich mich in der entsprechenden Situation verhalten würde, und ich glaube, ich könnte es nicht tun“, sagt sie. Doch auch sie hat sich dem Protest in Warschau angeschlossen. „Jede Frau hat das Recht, in dieser Sache selbst zu entscheiden“, betont sie. „Das Gesetz darf uns diese Entscheidung nicht nehmen.“