Ungewollte Schwangerschaften sind in Polen ein Riesenproblem. Betroffene Frauen finden kaum Unterstützung. Viele suchen Hilfe in Deutschland – zum Beispiel in der Uckermark.
Das Handy von Dr. Janusz Rudzinski klingelt in einer Tour. Viele ungewollt schwangere Polinnen suchen bei ihrem Landsmann Hilfe – und die Möglichkeit, abzutreiben. Der erfahrene Mediziner ist Leiter einer gynäkologischen Abteilung an einem uckermärkischen Krankenhaus in Prenzlau. Er setzt sich aktiv für die Wahrung von Frauenrechten in seiner alten Heimat ein, ist deshalb dort gut bekannt. „Jede Frau hat das Recht auf Selbstbestimmung, kann selbst über ihren Körper bestimmen. In Polen verwehrt man dies ihnen aber“, beklagt der Mediziner.
Die Abtreibungsgesetze im katholisch geprägten Nachbarland zählen zu den strengsten Europas. Nur in drei Ausnahmefällen ist der Eingriff überhaupt erlaubt: Wenn die Frau vergewaltigt wurde, ihr Leben in Gefahr ist oder das Kind eine schwere Behinderung hat. Und selbst dann erhielten viele schwangere Polinnen keine Hilfe, sagt Krystyna Kacpura, Direktorin des Warschauer Bündnisses für Frauenrechte und Familienplanung, der Deutschen Presse-Agentur.
Die polnische Regierung gibt die Zahl der jährlich im Land vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche mit 1000 an. Polnische Ärzte berufen sich oft auf eine Gewissensklausel und argumentierten, eine Abtreibung sei für sie ethisch nicht vertretbar. Gleiches passiere beim Verschreiben von Verhütungsmitteln, kritisieren Frauenrechtler.
Die Angst, ins Visier von Ermittlern zu geraten oder Zielscheibe der Proteste von Abtreibungsgegnern zu werden, sei bei polnischen Medizinern so groß, dass viele den Eingriff verweigerten, erzählt ein Warschauer Gynäkologe der Zeitschrift „Newsweek Polska“. Laut der Frauenrechtlerin Kacpura reisen deshalb viele Polinnen für eine Abtreibung ins Ausland, zum Beispiel nach Deutschland – „dort fühlen die Frauen sich besser aufgehoben“.
Der Gynäkologe Rudzinski, der nach Stationen in Polen und Schweden seit den frühen 1980er Jahren in Deutschland arbeitet, berät in der Prenzlauer Klinik jede Woche 20 bis 25 polnische Frauen. Um die Behandlungskosten von rund 400 Euro überhaupt aufbringen zu können, müssten viele ihr letztes Geld zusammenkratzen, sagt er.
Auch Kliniken in den Niederlanden und Österreich werben im Netz auf Polnisch, in Foren tauschen Polinnen sich über Ablauf und Preise des Eingriffs aus. Denn eine Abtreibung im Ausland könnten sich nicht alle leisten, sagt Kacpura. Ärmere und in ländlichen Regionen lebende Frauen griffen auf Hausmittel zurück und riskierten ihr Leben, weil sie keinen anderen Ausweg sehen, warnen Frauenrechtler.
Rudzinski erzählt von einer Frau aus Ostpolen: „Um abzutreiben, hat sie sich einen Draht durch die Scheide in die Gebärmutter eingeführt. Danach bekam sie 40 Grad Fieber und heftige Bauchschmerzen. Ich habe ihr geraten, sofort ein Krankenhaus aufzusuchen. Später hat sie sich bei mir nicht mehr gemeldet. Ich weiß nicht, ob sie noch lebt.“
Polens Regierung, die viele konservative Wähler hat und der katholischen Kirche nahesteht, wollte das ohnehin strenge Gesetz im vergangenen Jahr weiter verschärfen. Ein geplantes Abtreibungsverbot sah bei Schwangerschaftsabbrüchen sogar Haftstrafen für Mütter und Ärzte vor. Diesen Eingriff in ihr Privatleben wollten sich viele Polinnen aber nicht bieten lassen. Bei landesweiten Protesten gingen Zehntausendende auf die Straße. Der Widerstand ließ die Regierung zurückrudern – zumindest beim Abtreibungsverbot.
Doch erneut beabsichtigen Polens Nationalkonservative, die Reproduktionsrechte von Frauen einzuschränken. Die derzeit rezeptfrei erhältliche „Pille danach“ soll nach Plänen der Partei Recht und Gerechtigkeit PiS wieder verschreibungspflichtig werden. Entgegen der Meinung von Medizinern stufen polnische Regierende und Geistliche die „Pille danach“ nicht als Notfallverhütung nach ungeschütztem Sex, sondern als Mittel zum Schwangerschaftabbruch ein. „Die Pille heilt nicht, also ist es keine Pille, die gesund macht, sondern eine Pille, die tötet“, sagte der PiS-Abgeordnete Marek Suski. Gesundheitsminister Konstanty Radziwill, selbst ein Arzt, würde die Notfallverhütung nicht einmal einer vergewaltigten Frau verschreiben, wie er in einem Radiointerview sagte. „Das ist wie im Mittelalter“, kommentiert der Prenzlauer Arzt Rudzinski.
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