„Frühkindlicher Narzissmus“

Pipamperon als Dauermedikation: Kinderpsychiater vor Gericht

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Berlin -

Der Kinderpsychiater und Sachbuchautor Michael Winterhoff ist wegen gefährlicher Körperverletzung durch Beibringung von Gift in mehr als 30 Fällen angeklagt. Heute steht er deswegen vor dem Bonner Landgericht. Der 70-Jährige weist die Vorwürfe zurück.

Winterhoff soll laut Anklage insgesamt 36 Kindern und Jugendlichen das Antipsychotikum Pipamperon zur Dauerbehandlung verordnet haben. Es habe jedoch angeblich „keine Indikation im Rahmen der Zulassung des Medikaments bestanden“. Das Neuroleptikum soll bei vielen Patienten zu Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Bewegungssteifheit und erhebliche Gewichtszunahmen geführt haben. Viele Kinder fühlten sich laut Anklage „wie Roboter“, als er sie mit dem Medikament behandelte.

Winterhoffs Medienanwälte wiesen die Vorwürfe zurück. Ihr Mandant habe das Medikament nicht standardmäßig verschrieben, sondern nur nach entsprechender medizinischer Indikation. Konkret erklärten sie: „Unser Mandant hat auch keine Nebenwirkungen, insbesondere Sedierungen, bewusst in Kauf genommen. Er hat die Dosierung stets mit dem Ziel gewählt, Nebenwirkungen zu vermeiden.“ Es sei in keinem Fall nachweisbar, dass die Verordnung des Medikaments zu einem Schaden geführt habe.

Laut Anklage soll er die Sorgeberechtigten jedoch nicht umfassend über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt haben. Stattdessen habe er ihnen erklärt, Pipamperon mache die Kinder emotional erreichbar. Er rechtfertigte so die teils jahrelange Behandlung seiner Patienten, ohne die zugrunde liegende Erkrankungen zuvor leitliniengerecht untersucht zu haben, schilderte die Staatsanwältin. So habe er sie „körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt“, hieß es.

Winterhoffs Verteidigerin stellte am ersten Verhandlungstag klar: „Er wollte die Patienten nicht ruhigzustellen, sondern verschrieb das Medikament nur als flankierende Maßnahme mit medizinischem Grund.“ Die Eltern halten in der Anklage dagegen: Winterhoff soll die irreführende Diagnose „frühkindlicher Narzissmus“ mitgeteilt und die Behandlung als alternativlos dargestellt haben, um die Kinder ruhigzustellen. „Dieser angebliche Wirkmechanismus ist wissenschaftlich nicht nachvollziehbar“, sagte die Staatsanwältin.

Der Wirkstoff wird bei chronischen Psychosen zur Schlafförderung und Beruhigung eingesetzt. Zudem wirkt er antipsychotisch. Gemäß Fachinformationen (Stand seit 2005) liegen zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Pipamperon bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren nur begrenzte Studien vor. Deshalb sollte Pipamperon bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren nur unter besonderer Berücksichtigung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses verordnet werden.

Das Bonner Landgericht hat für den Prozess mit zahlreichen Zeugen und Sachverständigen rund 40 Verhandlungstage bis Ende Juli angesetzt. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gilt für den Angeklagten die Unschuldsvermutung.

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