Oberflächliche Marktbetrachtung

„Pioneer“ will Apotheken liberalisieren – Apotheker:innen beschweren sich Laura Schulz, 05.07.2024 15:59 Uhr

Die Apothekenreform habe das Potenzial, verkrustete Strukturen aufzubrechen, meint „The Pioneer“ und erntet den Protest der Apotheker:innen. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Ende vergangener Woche veröffentlichte das Nachrichtenportal „The Pioneer“ einen umfangreichen Artikel zum Thema Apothekenreform. Der Beitrag setzte sich mit den verschiedenen Positionen auseinander, nahm die Inhalte des Apotheken-Reformgesetzes unter die Lupe. Auch wenn die Pharmazeut:innen selbst zu Wort kamen, wirkt die Meinung bereits gefestigt, dementsprechend fällt das Urteil vernichtend aus: Das Apotheken-Monopol habe mehr Marktwirtschaft bitter nötig, am besten nähme man sich ein Vorbild an den Drogerien. Die Apothekerschaft reagiert mit Wut auf die Berichterstattung.

Der „Pioneer“ wollte differenziert berichten, ging in die Tiefe und ließ sowohl Apothekerschaft als auch einschlägige Ökonomen wie Justus Haucap ihre Meinung darstellen. Vergessen wurden hingegen die vielen rechtlichen Bestimmungen für Apotheken und Arzneimittel insgesamt und die Tatsache, dass Arzneimittel eben keine Standard-Drogerieware sind. Genauso konnte der Artikel nicht darlegen, welche Rolle das Apothekenhonorar spielt und dass es bei der Reform eben nicht darum geht, bestehende Apotheken zu erhalten.

Die dann doch nicht mal ansatzweise weit genug gehende Auseinandersetzung rief nun die Apotheker:innen auf den Plan, teilweise wandten sie sich sogar an die Redaktion des „Pioneer“, um auf die Fehler hinzuweisen. „Es ist bezeichnend für die maximale Anspannung derzeit, wie viele Kollegen und Kolleginnen […] reagieren“, meint auch Apothekerin Susanna Frank. Sie habe den „Pioneer“ bisher unterstützt, kündigte nun aber die Unterstützung, „weil ich bei Ihrem letzten Artikel über Karl Lauterbachs unausgegorene Reformpläne in der Arzneimittelversorgung keine unabhängige und fundierte journalistische Arbeit erkennen konnte“, schrieb Frank an die Redaktion.

Platt machen, was bewährt ist

„Das bisherige System soll platt gemacht werden!“, macht sie den Urhebern des Artikels deutlich. „Darüber freuen sich nur die Versender und deren gut dotierte Unterstützer.“ Sie selbst „arbeite seit 1984 an der Front, kenne wie meine Kollegen wirklich den tatsächlich Bedarf, die vielen Notwendigkeiten und habe mich noch nie sinnvollen Reformen und entsprechenden Gesetzesänderungen verweigert“. Doch genauso wie bei den Ärzt:innen fehlten den Apotheken entsprechende Mittel, diese direkte Versorgung aufrechtzuerhalten, weshalb Praxen wie Apotheken verstärkt vor dem Aus stehen.

„Und wie kommen Sie auf das schmale Brett, dass die gesetzlichen Vorgaben verantwortlich für die ländliche Unterversorgung sind? Erst jemandem die Beine brechen und ihn dann fragen, warum er so komisch läuft“, kommentiert die „ehemals treue und begeisterte Leserin“.

Blick auf andere liberale Märkte

Auch Apotheker Stefan Haydn schrieb der Redaktion des Portals für „kollaborativen, werbefreien Politik- und Wirtschaftsjournalismus“: „Ich bin die Polemik in Bezug auf die Leistungen der Apotheken inzwischen leid“, startet er in seine Leser-Mail. Solche liberalen Forderungen wie im Artikel enthalten, sollte man nicht stellen, ohne den Blick in die liberalisierten Märkte wie in Großbritannien oder den USA zu werfen. „Das System funktioniert dort so gut und ist so günstig, dass es weder eine Opioid-Krise noch reihenweise Schließungen und die Explosion von Arzneimittelpreisen gegeben hat“, meint er ironisch. „Patienten speziell in den USA weichen inzwischen nach Mexiko und Kanada aus, um ihre Medikamente noch bezahlen zu können.“

Parallelen zum Drogeriemarkt ungeeignet

Noch dazu seien Drogerien in keiner Weise dazu geeignet, vollversorgende Apotheken zu ersetzen: „dm wird nicht in kleine Dörfer gehen, sondern sich die Rosinen in den zentralen Einkaufs- und Stadtlagen herauspicken. Ich gehe mal davon aus, dass Herr Werner an einer Notdienstversorgung oder Rezepturherstellung eher weniger Interesse zeigen wird. Das würde seinem Gewinn und der erhofften Marge mehr schaden als nützen“, meint Haydn mit Blick auf die Äußerungen von dm-Chef Christoph Werner, der erst im Frühjahr wieder seine Bereitschaft zeigte, Beratungen, Diagnosen, Impfungen und auch die Abgabe von Arzneimitteln übernehmen zu wollen.

Eine kontrollierte Abgabe von teils schwer zu bekommenden und lebenswichtigen Arzneimittel durch das „Apotheken-Monopol“ käme schließlich nicht von ungefähr, sondern sei im Sinne des Patientenschutzes, so Haydn. „Wer behauptet, die Apotheken würden sich technischem Wandel verschließen, hat wohl schon seit Langem keinen Fuß in eine Apotheke mehr gesetzt oder ist zu faul sich mal vor Ort zu informieren.“ Die Apotheken seien durchaus vorne dabei in Sachen Digitalisierung. „Selbst sogenannte Telepharmazie, nicht der von Herrn Lauterbach damit verwechselte Video-Call, ist schon teilweise möglich.“

„Größe ist keine Rettung“

Haydn gibt weitere Dinge zu bedenken: „Nur in wenigen Ländern gibt es Apotheken ohne Apotheker, meist weil an Mangel an Apothekern herrscht, der Lebensstandard niedrig ist oder sehr große Flächen versorgt werden müssen.“ Um Approbierte durch PTA zu ersetzen, bräuchte es erst einmal eine Reform der Ausbildung, die das Bundesgesundheitsministerium (BMG) aber nicht einmal vorsehe.

„Größe ist keine Rettung“, meint der Inhaber zudem, nicht umsonst würden derzeit vermehrt Filialen schließen, auch hier sei der Blick zu den großen Ketten in Übersee angebracht. Konzerninteressen und Erträge dürften nicht wichtiger werden als das Patientenwohl. „Im Gegensatz zum Rest der Leistungserbringer bringen Apotheken als einziger Gesundheitsdienstleister mehr Geld ein als sie kosten. Aber das Problem, ihre Leistung monetär fassbar zu machen, haben die Apotheker weltweit. Nur ohne sie wird es immer teurer als zuvor“, schließt er seine verärgerte Mail an den „Pioneer“.