Zyto-Skandal

Pfusch-Apotheker: Opfer werden nur langsam informiert

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Düsseldorf -

Mehr als 1200 Anrufe besorgter ehemaliger Krebspatienten gingen bei der Hotline der Stadt Bottrop bereits ein. Auch viele Briefe habe die Stadt erhalten, sagt Stadtsprecher Andreas Pläsken. In mehr als 60.000 Fällen soll ein Bottroper Apotheker Krebsmedikamente gepanscht und verdünnt haben. Seit zehn Monaten sitzt der Beschuldigte in Untersuchungshaft. Betroffen sei „eine niedrige vierstellige Zahl“ von Patienten, hatte die Staatsanwaltschaft Essen bei der Anklageerhebung im Juli mitgeteilt.

Monate nach Bekanntwerden des Skandals ist immer noch unklar, wie viele Krebspatienten verdünnte Medikamente verabreicht bekommen haben und welche Folgen das für sie persönlich hatte. Nur schleppend startete eine Informationskampagne für die betroffenen Patienten. Inzwischen ist sie in Gang gekommen – das ist vor allem der Initiative der Stadt Bottrop zu verdanken.

„Seit neun Monaten tun wir nichts anderes als zu informieren, obwohl das eigentlich nicht Aufgabe der Stadt Bottrop ist“, sagt Pläsken. Die Stadt habe auf eigenes Drängen von der Staatsanwaltschaft eine Liste von 37 Ärzten Praxen und Kliniken bekommen, die die fraglichen Medikamente bezogen hatten. Veröffentlichen darf die Stadt die Liste nicht. Aber sie hat die Hotline eingerichtet.

Viermal habe die Stadt zudem die Einrichtungen angeschrieben und gebeten, sich mit den Patienten in Verbindung zu setzen. „Wir wissen nicht, ob die Ärzte die Patienten informieren“, sagt Pläsken. „Es gibt auch eine nicht unerhebliche Zahl von Betroffenen, die von dem Thema gar nichts wissen wollen.“

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hat als Konsequenz aus dem Krebsmittel-Skandal zwar inzwischen die Apothekenüberwachung verschärft. Doch mit seiner Ankündigung, die Adressen der betroffenen Patienten ausfindig zu machen und dafür zu sorgen, dass sie informiert werden, ist er nicht weit gekommen. Das Ministerium habe ein Auskunftersuchen an die Staatsanwaltschaft gestellt, sagt eine Sprecherin Laumanns. Eine Rückmeldung stehe noch aus. Die Namen und Adressen der Patienten lägen dem Ministerium bislang nicht vor.

Direkt würde sich das Ministerium aber ohnehin nicht mit den Patienten in Verbindung setzen. Die Ärzte müssten „individuell und eigenverantwortlich“ entscheiden, ob und wie sie informierten. Die Stadt Bottrop habe ihnen ja alle Informationen übermittelt. Und auch das Ministerium habe die zuständigen Einrichtungen angeschrieben. Es sei aber nicht bekannt, welche Patienten tatsächlich „qualitativ geminderte“ Medikamente erhalten hätten.

Der beschuldigte Apotheker soll von 2012 bis 2016 Krebsmedikamente gepanscht haben. Das Problem: Nur 27 Proben von abgabefertigen Zubereitungen, die bei seiner Festnahme sichergestellt wurden, konnten untersucht werden. Laut Staatsanwaltschaft wiesen sie „erhebliche Mindermengen an den verschiedenen Wirkstoffen“ auf.

Auch die Ärztekammer Nordrhein sieht die Ärzte in der Informationspflicht. Insgesamt 13 Einrichtungen und Praxen aus Nordrhein seien mit Krebsmedikamenten des Bottroper Apothekers beliefert worden. Die Ärztekammer werde im Rahmen ihrer Berufsaufsicht alle Einrichtungen anschreiben, um zu erfahren, wie die betroffenen Patienten von den Ärzten informiert wurden. „Wir können die Ärzte nicht verpflichten, weil es auch im Einzelfall Gründe geben könnte, einen Patienten nicht zu informieren“, heißt es.

Bisher wurden nur die Namen von zwei belieferten Einrichtungen in Düsseldorf bekannt, weil das Gesundheitsamt der Landeshauptstadt sie veröffentlichte. Eine davon ist das Europäische Brustzentrum in Düsseldorf. Dessen Leiter, der anerkannte Brustkrebs-Spezialist Dr. Mahdi Rezai, sagte der Deutschen Presse-Agentur, seine Einrichtung habe „in keiner Weise Unregelmäßigkeiten bei den Patienten gemerkt“.

Seit der Festnahme des Apothekers rufen fast täglich Patienten bei Rezai an, oder er kontaktiert sie. Eine Zahl von 900 Patienten allein im Europäischen Brustzentrum steht im Raum. Aber es sei nicht mehr nachzuweisen, ob die Patienten tatsächlich gepanschte Medikamente bekommen hätten, sagt Rezai. Bei den Operationen seien in vielen Fällen die Tumore entweder schon verschwunden gewesen oder sehr stark zurückgegangen. „Das heißt, die Wirkung war da.“ Nun stelle sich die Frage, „ob man die Patienten anrufen und verunsichern soll“. Bei vielen liege die Therapie auch schon einige Jahre zurück, sie seien ins normale Leben zurückgekehrt. Rezai: „Es gibt auch Patienten, die sich damit gar nicht mehr auseinandersetzen wollen.“

Als Konsequenz aus dem Bottroper Skandal forderten die Apothekerverbände zuletzt ein anderes Vergütungsmodell für die hoch spezialisierten Apotheken. Künftig dürfe nur noch die Herstellung solcher Mittel vergütet werden, so ABDA-Präsident Friedemann Schmidt. Um 56 Millionen Euro soll der Apotheker die Krankenkassen geprellt haben.

Geld sollten die sogenannten Schwerpunktapotheken für Krebspatienten „nur noch für tatsächlich erbrachte Leistung“ bekommen und nicht mehr für die Wirkstoffe. Bei der Honorierung der Produktion würden „falsche Anreize gesetzt“. In den spezialisierten Apotheken müsse es „gezielte Kontrollen“ geben, sagte Schmidt. „Aber auch das dahinterliegende Vergütungsmodell muss insgesamt geändert werden.“

Die Staatsanwaltschaft hatte am 11. Juli beim Landgericht Essen (LG) Anklage gegen den 47-jährigen Apotheker aus Bottrop erhoben. S. wird vorgeworfen, von Anfang 2012 bis zu seiner Festnahme am 29. November 2016 bei der Herstellung von Sterilrezepturen von den geltenden Herstellungsregeln und ärztlichen Verordnungen abgewichen zu sein.

Die Anklage geht von 61.980 Fällen aus, in denen er Zubereitungen unter Verstoß gegen die Vorschriften in den Verkehr gebracht hat. Jeder einzelne Fall wird als besonders schwerer Fall des Verstoßes gegen das AMG qualifiziert – hier drohen jeweils bis zu zehn Jahre Haft. Diese Fälle umfassen alle Abgaben von Zubereitungen aus einer Liste von 35 Medikamenten, bei denen die Staatsanwaltschaft signifikante Mengenabweichungen bei Einkauf und Abrechnung festgestellt hat. Bei der Festnahme wurden zum Teil Präparate mit weiteren Wirkstoffen sichergestellt.

S. wird zur Last gelegt, die Beschaffungspraxis der Apotheke systematisch so ausgerichtet zu haben, dass es von vornherein unmöglich war, die große Vielzahl der von ihm vertriebenen Zubereitungen mit den verschriebenen Wirkstoffen in den verschriebenen Mengen herzustellen. Er soll die Zubereitungen daher in einer nicht näher quantifizierbaren Vielzahl von Fällen mit deutlich weniger Wirkstoff als ärztlich verordnet in den Verkehr gebracht haben.

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